264 Englische Revolution. Zeitalter Ludwigs XIV. rc.
Thuns anerkennt als Eigensucht: d. h. Ehrgeiz oder Habsucht. Für die
Franzosen eröffnete P. Bayle die Reihe, ein sehr scharfsinniger und
gelehrter Mann, der seinen Krieg auf historischem Boden eröffnete und
dabei zu beweisen suchte, daß Recht und Tugend unabhängig von der
Religion bestünden. Andere, deren Zahl beinahe Legion war, begannen
mit Angriffen auf den Aberglauben und den Fanatismus, zwei Uebel,
deren gänzliches Verschwinden bei der Leichtgläubigkeit und der Leiden¬
schaft des menschlichen Gemüthes nicht erwartet werden darf. Der Kampf
gegen dieselben kann aber mit Erfolg doch nur auf christlichem Boden
geführt werden, weil nur so statt des Aberglaubens der Glaube gegeben
wird. Als Beispiel führen wir den obengenannten Jesuiten und Dichter
Spee an; dieser Jesuite hatte den Muth, gegen die Herenverfolgungen,
welche damals in katholischen und protestantischen Landen wütheten, auf¬
zutreten und zu sprechen: „Hunderte von Unglücklichen habe ich (als
geistlicher Beistand) zum Tode führen müssen, den ihnen der Wahnsinn
der Herenverfolgungen bereitete; nicht länger kann ich, nicht länger darf
ich das Leid verschweigen, das ich empfinde bei solchen Mordthaten."
(Mehr als ein halbes Jahrhundert später (1704) trat im protestanti¬
schen Deutschland der Professor Thomasius in Halle in gleicher Rich¬
tung auf.) Von dem siegreichen, leichten Streite gegen Aberglauben,
gegen Unwissenheit, Habsucht und Ehrgeiz, die besonders an einzelnen
Geistlichen hohen Ranges in alter und neuer Zeit zur Schau gestellt
wurden, ging man in Frankreich zum Angriffe auf das Christenthum
selbst über und bekämpfte dasselbe, dem französischen Naturelle folgend,
hauptsächlich mit den Waffen des Witzes und Spottes. In dieser Be¬
ziehung errang Voltaire die traurige Berühmtheit seines Namens, viele
andere, welche wir nicht nennen wollen, wetteiferten mit ihm, und wie
man in Deutschland französisches Wesen nachahmte, so geschah es mit
der Neligionsspötterei und dem Unglauben; Friedrichs des Großen Beispiel
übte einen besonders verderblichen Einfluß. Und was gaben diese Phi¬
losophen statt des christlichen Brotes? Die Vernunftreligion, die sich
aber sehr verschieden herausstellte; während nämlich die einen einen
höchsten Gott als eine Forderung der Vernunft gelten ließen, die Grund¬
sätze der Sittlichkeit und des Rechts aber als Mitgabe des Schöpfers
für jeden Menschen ansahen, erklärten andere die Natur als Gottheit,
den Glauben an einen Unterschied zwischen Geist und Körper für Wahn,
somit den Menschen für das vornehmste Thier. Durch beide Parteien
wurde die geoffenbarte Religion beseitigt, und wenn man sich nun fragte,
woher es denn komme, daß einmal eine Religion als eine geoffenbarte
verkündet, verbreitet und aufrecht erhalten worden sei, so konnte nur die
Antwort erfolgen: „es hat immer schlaue Leute gegeben, welche ihre
eigenen Gedanken als göttliche Offenbarungen ausgaben, andere fanden