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Die Zeit von 1815 bis 1857.
Aufrechthaltung dieses neuesten Pariser Friedens ab. Rußland verlor in
diesem Pariser Frieden zwar keine 200 lUMeilen von seinem Gebiete,
also nicht */20 Prozent seines Areals, allein dieses kleine Stück war
für Rußland von höchster Wichtigkeit. Es verlor mit ihm die Herrschaft
über den untersten Lauf und die Mündungen der Donau, des großen
mitteleuropäischen Stromes, welcher den Verkehr Europas mit den
Pontusländern und Mittelasien zu vermitteln bestimmt ist; es gibt keine
russischen Donaufestungen und keine russische Donauflottille mehr, welche
einer russischen Armee den Uebergang über den Strom so sehr erleichter¬
ten. Durch die Zerstörung der russischen Pontusstotte ist überdies eine
gewaltige Angriffswaffe Rußlands gegen die Türkei vernichtet und kann,
so lange der Sultan noch den Hellespont und den Bosporus besitzt und
Englands Seemacht besteht, nicht wieder hergestellt werden. Das rus¬
sische Protektorat über die Donaufürstenthümer und Serbien ist an die
gesammten Großmächte übergegangen, der folgenschwere Artikel des
Friedens von Kutschuk Kainardschi ist ausgelöscht, und bevor keine gänz¬
lich veränderte Stellung der Großmächte eintritt, kann die russische Po¬
litik keinen ernsten Schritt auf den verlorenen Boden zurückwagen.
Diejenige Macht, welche eigentlich den Krieg gegen Rußland führte,
dessen Heere schlug und Sebastopol stürmte, war Frankreich. Der
französische Kriegsruhm strahlte seitdem glänzender als jemals, denn der
französische Soldat bewies eine nicht mehr zu leugnende Ueberlegenheit
über den russischen und englischen; überdies wurde der Friede zu Paris
abgeschlossen, wodurch diese Stadt als der Mittelpunkt der europäischen
Politik erschien; aber waren diese Erfolge nicht zu theuer erkauft mit
wenigstens 80,000 Mann und 1^/2 Milliarden Franken? Es ist sehr
zu bezweifeln, daß Napoleon III., als er die Unternehmung gegen Seba¬
stopol befahl, daran dachte, allmählig zur Entsendung von 200,000
Mann, also der vollen Hälfte der disponiblen französischen Landmacht,
auf jenen fernen Kriegsschauplatz genöthigt zu werden, wo Rußland nur
an einem Arme verwundet, aber keineswegs in das Herz getroffen wer¬
den konnte. Den kaiserlichen Worten: „wir marschieren mit Deutschland
gegen Rußland" lag wohl die Idee eines Gegenstücks zu 1813 zu Grunde.
Wenn es Napoleon III. gelang, Oesterreich gleich anfangs in den Krieg
gegen Rußland zu verwickeln, so war an eine Neutralität Preußens und
der andern Bundesstaaten nicht mehr zu denken, indem er diesen nur die
Wahl zwischen Krieg gegen Frankreich oder Krieg gegen Rußland ließ.
Auf diese Weise bürdete er die Hauptlast des Krieges Oesterreich, Preu¬
ßen und Deutschland auf, und er behielt die Leitung des Kriegs um so
sicherer in seiner Hand, als er mit zwei Drittheilen der französischen
Heeresmacht im Rücken seiner an der Weichsel und am Dniester fechten¬
den Verbündeten eine beliebige Stellung einnehmen konnte. Eben darum