Die deutsche Reichsverfassung unter den sächsischen und salischen Herrschern. 769
Kirchenguts hiefs wie beim Lehen Investitur. Bei Abgang des Investierten
fiel Alles an den Eigentümer zurück.
Die Geistlichkeit war aber nicht nur auf den Ertrag der Kirchengüter an¬
gewiesen. Seit Karl d. Gr. waren alle Grundbesitzer des Reiches zum Kirchen¬
zehnten verpflichtet, aber erst in unserer Periode setzten die Bischöfe die wirk¬
liche Leistung allgemein durch (Schröder, RG.2 S. 190, 507, Anm 8) Von
jedem Grundstück war der zehnte Teil des Ertrags an geistliche Anstalten zu
entrichten. Die Bischöfe überwachten die Einlieferung und Verteilung dieser
Abgaben, von denen sie selbst den vierten Teil erhielten, während der Rest
den Pfarrkirchen und den Klöstern zukam (Waitz VIII, S. 347 f.). Die Könige
haben mehrfach Bestimmungen getroffen über die Verteilung des Zehnten (ebenda
S. 349). ^ Dem gegenüber beanspruchten die Bischöfe das Recht der freien Ver¬
fügung über alle Kirchenzehnten ihrer Sprengel, das ihnen in einzelnen Fällen
auch zugestanden wurde. * Die Ansprüche des Mainzer Erzstiftes auf den vollen
Zehnten in Hessen und Thüringen riefen einen langen Kampf zwischen dem
vom König unterstützten Erzbischof und den Klöstern des Sprengels hervor. Er
endete im Jahre 1073 mit einem Vergleich, der das Zehntrecht des Erzbischofs
im Prinzip anerkannte, den beiden grofsen Klöstern Hersfeld und Fulda aber
gewisse Freiheiten wahrte.2 Die Königshöfe scheinen im Allgemeinen Zehnt-
freiheit genossen zu haben, auf die in einzelnen Fällen von den Königen ver¬
zichtet wurde (Waitz VIII, S. 353). Gegen die Versuche weltlicher Fürsten,
eine gleiche Ausnahmestellung zu behaupten, haben die Bischöfe wohl überall
ihr Zehntrecht durchgesetzt. Wo der Zehnte den Bischöfen zur Verfügung
stand, haben sie ihn häufig — wider das Kirchenrecht und wohl meist ge¬
zwungen — an Weltliche verliehen. Das Lehnswesen machte auch hier seine
zersetzende Wirkung geltend (Waitz VIII, S. 358 ff.).
Dies sind die Grundzüge der Kirchenverfassung bis zur Mitte des 11 Jahr¬
hunderts. Die Schwächen des Systems liegen am Tage. Man hatte den kirch¬
lichen Beamten zu verschiedenartige Verpflichtungen auferlegt. Je mehr der
rundbesitz der geistlichen Anstalten zunahm, desto mehr traten für deren Vor¬
steher die geistlichen Interessen in den Hintergrund. Solange über dem Ganzen
das Auge eines Königs waltete, der sich seiner oberpriesterlichen Stellung be-
wufst war, blieb die Gefahr noch gering. Aber der bedeutende Politiker, der
ie Reihe der salischen Könige eröffnete, besafs nichts von der glänzenden Viel¬
seitigkeit der Ottonen. Er sah in den Bischöfen und Äbten in erster Linie
seine Verwaltungsbeamten und richtete bei der Besetzung der Kirchenämter sein
ugenmerk vornehmlich auf die wirtschaftliche Begabung und das Vermögen der
1) Otto I. and Heinrich IV. für Osnabrück. Waitz VIII S. 350.
2) Ebenda S. 35111., Annal. III, 2, S. 99ff.
Richter, Annalen d. deutsch. Gesch. iin M.-A. III, 2.