Full text: Geschichte der neuen Zeit für Mittelschulen und zum Selbstunterricht (Theil 3)

40 Die Reformation. Religionskriege. Verfall Deutschlands re. 
rich VIII. gefallen, der Luther noch mehr haßte als den Papst und 
Luthers Abbitte wegen einer groben Gegenschrift (Heinrich VIH. hatte 
für die sieben Sakramente geschrieben, wofür ihn Luther mit „Narr, 
Eselskopf" u. dgl. bediente) mit der ausgesuchtesten Verachtung zurück¬ 
wies. Er konnte sich auch nicht verhehlen, daß durch seine Lehre die 
Sittlichkeit der deutschen Nation nicht gewonnen habe, und er selbst 
spricht mit Abscheu von dem ausschweifenden Leben, das unter seinen 
Augen zu Wittenberg geführt wurde; daß es in den katholischen Städten 
und Ländern nicht besser herging, war jedenfalls nur ein schlechter Trost. 
Zudem mußte er sehen, wie die Gewalt der Fürsten und ihrer Beamten 
seine Schöpfung gänzlich in Beschlag nahm und daß nur ihm ausnahms¬ 
weise ein Einfluß auf die Besetzung der Stellen und eine fast freie An¬ 
ordnung im Kirchen- und Schulwesen eingeräumt wurde, und dies nur 
in Sachsen, während schon Brandenburg von seiner Kirchenordnung 
abwich. Auch die Sekten wollten nicht aufhören; seine Lehre vom 
Abendmahle drang nicht durch, so oft er auch Zwinglis Lehre als „lä¬ 
sterliche Ketzerei" verdammte, und er bemerkte es nur zu deutlich, daß 
sein Mitarbeiter Melanchthon sich zu der Zwinglischen Lehre hinneigte. 
Zudem ging die katholische Lehre nicht unter, sie lebte im Gegentheile 
kräftig auf und Luther erwartete auch nicht mehr, daß er ihren Fall noch 
erlebe. Doch schrieb er noch 1545 „das Papstthum vom Teufel gestiftet" 
und ergoß darin einen Strom von Schmähungen über die Kirche, wie 
nur er zu thun im Stande war, denn in der Virtuosität des Schimpfens 
kam ihm keiner seiner Zeitgenossen auch nur von ferne gleich. Auch 
gegen die Juden brach er noch los und überschüttete sie mit einem Hagel 
von Schand- und Spottworten; er rieth ihre Synagogen zu verbrennen, 
ihnen die Bibel zu nehmen, ihren Kult zu verbieten und sie schließlich 
fortzujagen. Haben die Kölner Dominikaner jemals in solcher Weise 
gegen den Talmud und andere jüdische Schriften gewüthet? Luther 
war in den letzten Jahren auch von schweren körperlichen Leiden heim¬ 
gesucht, was seine Gereiztheit nur steigern konnte, und vielmal äußerte 
er brieflich und mündlich, er wünsche durch den Tod von dem Anblick 
so mancher Widerwärtigkeiten erlöst zu werden. Dieser traf ihn den 
22. Februar zu Eisleben, wohin er gekommen war, um in einem Streite 
der Grafen von Mansfeld zu vermitteln; begraben ist er in oer Schlo߬ 
kirche zu Wittenberg. Die Gewalt, mit welcher er die damalige Macht 
der Kirche bekämpfte, sichert ihm seinen Platz neben den kühnsten Sterb¬ 
lichen. Seine Thätigkeit war unermüdlich, sein Eifer glühend, seine 
Beredtsamkeit hinreißend; er war wohlthätig gegen Arme und treu gegen 
seine Freunde, aber wenn seine Leidenschaftlichkeit überwallte, so durch¬ 
brach sie alle Schranken der Demuth, der Nächstenliebe und des Anstan¬ 
des; dann wurde er weiter fortgerissen, als sein anfänglicher Wille ge¬
	        
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