Der König von Neapel wird wieder Herr in seinem Reiche. 617
protestierten und als dies nichts half, griffen sie zu den Waffen und
lieferten vom 22. bis 27. Juni die furchtbarste Straßenschlacht der
neuen Zeit. Die mit taktischer Berechnung angelegten Barrikaden, die
Wahl der Stützpunkte, das kombinierte Zusammenwirken im Vordringen
und Zurückweichen, der Ueberfluß an Waffen und Munition, alles be¬
wies, daß der Aufstand schon längere Zeit nach einem umfassenden Plane
vorbereitet war und von kriegskundigen Führern geleitet wurde. Die
Revolutionäre fochten mit verzweifelter Hartnäckigkeit, ermordeten die
Gefangenen auf eine gräßliche Weise, erschoßen den Erzbischof d'Affre,
der in seinem priesterlichen Gewände zu einer Hauptbarrikade schritt und
Worte des Friedens sprach, es fielen mehr Generale als in Napoleons
größten Schlachten, und nur mit aller Anstrengung gelang es den Linien¬
truppen, der Nationalgarde und den Mobilen des Aufstands Meister zu
werden. Die Nationalversammlung hatte dem General Kavaignak
die Diktatur übertragen, alle Civil- und Militärgewalt in seine Hand
gelegt; nach dem Siege überließ man ihm als Konseilpräsidenten die
ganze vollziehende Gewalt, und er leitete nun auch statt Lamartine die
Politik gegen das Ausland. Die Republik (tm Gegensatz zu der rothen
die honnete genannt) mußte aber nun zu Maßregeln schreiten, die nicht
sehr republikanisch waren, z. B. wurden 4000 Junigefangene deportiert,
die Presse und das Vereinsrecht sehr beschränkt. Gegen das Ausland
wurde keine Propaganda gemacht, wohl aber den Polen und Deutschen
der Lauspaß an den Rhein gegeben und es den Regierungen überlassen,
wie sie mit diesem Auswurfe aus dem französischen Krater fertig wer¬
den möchten.
Im Spätherbst wurde endlich auch die neue Konstitution reif
und am 4. November angenommen. Die Republik wurde diesmal nach
nordamerikanischem Muster zugeschnitten und an ihre Spitze ein Präsi¬
dent mit vierjähriger Amtsdauer gestellt, nach deren Ablauf eine un¬
mittelbare Wiedererwählung gestattet war. Die Kandidaten um die
Präsidentschaft waren: Louis Napoleon Bonaparte, Kavaignak,
Lamartine und Ledru Rollin. Die nationale Abstimmung ergab
für Louis Napoleon 5*/2 Mill. Stimmen, für Kavaignak 14/2 Mill.,
für die beiden andern Kandidaten demnach so viel als nichts; die Nation
hatte ihr Urtheil gesprochen: sie wolle einen Herrn und zwar einen
napoleonischen, weil von diesem vorauszusetzen war, daß er den republi¬
kanischen Hatzen und Salbadereien ein baldiges Ende machen werde.
Am 20. Dezember leistete der Präsident den Eid und trat sein Amt
an; sein Ministerium wählte er so ziemlich aus allen Parteien und
überging nur die phantastischen Republikaner wie Lamartine, deßgleichen
die ehrlichen wie Kavaignak.