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regte sich das Gute in ihm, immer leichter wurde ihm das Betrügen,
das Stehlen. Zuweilen wohl, wenn er an seine alte Mutter und
die Zukunft dachte, kam eine furchtbare Beklemmung über ihn;
dann aber betäubte er sich in tollem, schäumendem Leben — nur
nicht an den Ausgang denken! Aber das Ende kam doch — der
Sprung ins Wasser.
5. Es ist eine Alltagsgeschichte, eine Geschichte, die trotz un¬
endlich wechselnder Gestalt immer nur das eine predigt: Hüte dich
vor dem ersten Schritt zum Bösen! Denke nicht: Einmal ist kein¬
mal. Die Sünde ist wie eine tiefe Grube; den Schlamm auf dem
Grunde siehst du nicht eher, als bis du hineingefallen bist. Laß
dich nicht locken durch die Bilder von Lust, von Glanz, von Frei¬
heit. Das Ende ist doch, daß das Gute in dir entschläft; du wirst
ein elender Sklave, der nicht mehr kann, wie er will. Wer Sünde
tut, der ist der Sünde Knecht. Erwin Gros. (Ans der Dorfkanzel, n. Bd.)
97. Schuld und Strafe im Sprichwort.
i. Wie man’s treibt, so geht’s. — 2. Der Krug geht so lange
zum Brunnen, bis er bricht. — z. Die Rache schläft nicht. —
4. Böses Gewissen ist eine Glocke, die von selbst Sturm läutet. —
5. Womit einer sündigt, damit wird er gestraft. — 6. Gottes Mühlen
mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein; ob aus Langmut er
sich säumet, bringt mit Schärf’ er alles ein.
* ■ * *
98. Der Wanderer in der Sägemühle.
1. Dort unten in der Mühle
saß ich in süßer Ruh'
und sah dem Räderspiele
und sah den Wassern zu.
2. Sah zu der blanken Säge,
— es war mir wie ein Traum —,
die bahnte lange Wege
in einen Tannenbaum.
3. Die Tanne war wie lebend;
in Trauermelodie,
durch alle Fasern bebend,
sang diese Worte sie:
4. „Du kehrst zur rechten Stunde,
0 Wanderer, hier ein!
Du bist's, für den die Wunde
mir dringt ins Herz hinein!
5. Du bist's, für den wird werden,
wenn kurz gewandert du,
dies Holz im Schoß der Erden
ein Schrein zur langen Ruh'!" —
6. Vier Bretter sah ich fallen;
mir ward's ums Herze schwer.
Ein Wörtlein wollt' ich lallen, —
da ging das Rad nicht mehr.
Justinus Kerner.