Full text: Geschichte des Alterthums für Mittelschulen und zum Selbstunterricht ([Theil] 1)

Indien. 
13 
Wanderung) und in denselben oft der Reihe nach viele Jahrtausende 
zubringen, bis sie hinlänglich gebessert und einer glücklicheren Eristenz 
würdig sind. Fromme Hindu tödten darum kein Thier, enthalten sich 
aller Speise aus dem Thierreiche und benutzen keine Häute und Felle 
als Kleidungsstoffe; sie pflegen kranke Thiere und tödten ein Raubthier 
nur dann, wenn es einen Verwandten zerreißt, weil es dann dem Ge¬ 
setze der Blutrache, Leben um Leben, verfallen ist. So verkehrt die 
Religion der Braminen die Weltordnung; sich selbst behalten sie Wissen¬ 
schaft, Ehre und Gut vor und verlangen, daß selbst die unwürdigsten 
ihrer Kaste dieser Vorzüge nicht verlustig werden können, während auf 
der anderen Seite die niedrigen Kasten der Verachtung und dem Hasse 
preisgegeben werden, und ihnen jeder Weg verwehrt ist, auf dem sie sich 
durch Anstrengung und Verdienst emporarbeiten könnten. Kein Wunder, 
wenn die reichgewordenen, halbvergötterten Braminen in ihrem Stolze es 
verschmähten, weiter im Gebiete der Wissenschaft zu arbeiten, hingegen 
die Erfindungen der Vorzeit durch Satzungen heiligten und so jede Ver¬ 
änderung derselben verboten. Sie mußten um so mehr in dieser stolzen 
Ruhe verharren, da nach ihrer Religion die Fremdlinge nicht viel besser 
sind als die Parias, so daß es eine Schande wäre, wenn die Braminen, 
die Lieblinge der Götter und die Inhaber aller von den Göttern ver¬ 
liehenen Weisheit, die Schüler der von den Göttern verfluchten Aus¬ 
länder würden. Auch der Handelsverkehr, in welchem Indien in uralter 
Zeit mit dem westlichen Asien stand, blieb ohne bedeutenden Einfluß 
auf das Braminenvolk. Die Indier selbst gaben die Erzeugnisse ihres 
Landes und ihrer Kunst an die Fremdlinge ab, welche zur See, aus 
dem persischen Meerbusen, von der arabischen und abpssinischen Küste in 
ihre Seehäfen kamen, oder an die Karavanen, welche von Bactra und 
Kabura (Kabul) an den Indus vordrangen. 
Die Braminen, ursprünglich wohl nichts anderes als der edelste 
Stamm des Hinduvolkes, haben ihre Uebermacht über die andern Stämme, 
wodurch sie dieselben zu untergeordneten Kasten machten, nicht ohne 
Kampf gewonnen und ihr Religionssyftem zum herrschenden erhoben. 
Wir haben aber keine Geschichte dieser Kämpfe, die zugleich Religions¬ 
kriege waren, sondern nur große mythische Heldengedichte, Ramayana 
und Mahabarata, welche den Braminen angehören und die Götter selbst 
zu ihren Gunsten an dem Kampfe Antheil nehmen lassen, in welchem 
aber die Braminen nur dadurch den Sieg errungen zu haben scheinen, 
daß sie den zweiten Stamm, die Kriegerkaste, zum Bundesgenossen machten, 
indem sie mit derselben Grundbesitz und Herrschaft theilten und das König¬ 
thum, aber umfriedigt mit braminischen Satzungen, ihr einräumten. 
Später, wahrscheinlich im 6. Jahrhundert, erhob sich in Indien 
gegen das Braminenthum ein Königssohn, Gautama, welcher die Reli-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.