Indien.
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Wanderung) und in denselben oft der Reihe nach viele Jahrtausende
zubringen, bis sie hinlänglich gebessert und einer glücklicheren Eristenz
würdig sind. Fromme Hindu tödten darum kein Thier, enthalten sich
aller Speise aus dem Thierreiche und benutzen keine Häute und Felle
als Kleidungsstoffe; sie pflegen kranke Thiere und tödten ein Raubthier
nur dann, wenn es einen Verwandten zerreißt, weil es dann dem Ge¬
setze der Blutrache, Leben um Leben, verfallen ist. So verkehrt die
Religion der Braminen die Weltordnung; sich selbst behalten sie Wissen¬
schaft, Ehre und Gut vor und verlangen, daß selbst die unwürdigsten
ihrer Kaste dieser Vorzüge nicht verlustig werden können, während auf
der anderen Seite die niedrigen Kasten der Verachtung und dem Hasse
preisgegeben werden, und ihnen jeder Weg verwehrt ist, auf dem sie sich
durch Anstrengung und Verdienst emporarbeiten könnten. Kein Wunder,
wenn die reichgewordenen, halbvergötterten Braminen in ihrem Stolze es
verschmähten, weiter im Gebiete der Wissenschaft zu arbeiten, hingegen
die Erfindungen der Vorzeit durch Satzungen heiligten und so jede Ver¬
änderung derselben verboten. Sie mußten um so mehr in dieser stolzen
Ruhe verharren, da nach ihrer Religion die Fremdlinge nicht viel besser
sind als die Parias, so daß es eine Schande wäre, wenn die Braminen,
die Lieblinge der Götter und die Inhaber aller von den Göttern ver¬
liehenen Weisheit, die Schüler der von den Göttern verfluchten Aus¬
länder würden. Auch der Handelsverkehr, in welchem Indien in uralter
Zeit mit dem westlichen Asien stand, blieb ohne bedeutenden Einfluß
auf das Braminenvolk. Die Indier selbst gaben die Erzeugnisse ihres
Landes und ihrer Kunst an die Fremdlinge ab, welche zur See, aus
dem persischen Meerbusen, von der arabischen und abpssinischen Küste in
ihre Seehäfen kamen, oder an die Karavanen, welche von Bactra und
Kabura (Kabul) an den Indus vordrangen.
Die Braminen, ursprünglich wohl nichts anderes als der edelste
Stamm des Hinduvolkes, haben ihre Uebermacht über die andern Stämme,
wodurch sie dieselben zu untergeordneten Kasten machten, nicht ohne
Kampf gewonnen und ihr Religionssyftem zum herrschenden erhoben.
Wir haben aber keine Geschichte dieser Kämpfe, die zugleich Religions¬
kriege waren, sondern nur große mythische Heldengedichte, Ramayana
und Mahabarata, welche den Braminen angehören und die Götter selbst
zu ihren Gunsten an dem Kampfe Antheil nehmen lassen, in welchem
aber die Braminen nur dadurch den Sieg errungen zu haben scheinen,
daß sie den zweiten Stamm, die Kriegerkaste, zum Bundesgenossen machten,
indem sie mit derselben Grundbesitz und Herrschaft theilten und das König¬
thum, aber umfriedigt mit braminischen Satzungen, ihr einräumten.
Später, wahrscheinlich im 6. Jahrhundert, erhob sich in Indien
gegen das Braminenthum ein Königssohn, Gautama, welcher die Reli-