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gleich ihre Geldbörsen auf einen Teller; dabei zog die eine von ihnen
noch die Ringe ab und legte sie bei, die andere ihre Ohrringe.
Ein Fräulein von Schmettau (ist im Jahre 1875 gestorben), die
sich in der Gesellschaft befand, war sehr arm. Sie schaute vergeblich in
ihre Geldbörse; da war nichts darin. An ihren Ohren hatte sie keinen
Schmuck befestigt, und ihre Finger trugen keinen Ring.
In ihren Augen, die unwillkürlich nach irgend einer Gabe suchten,
glänzten große Tränen. Geben wollen und nichts haben, das tut
so weh!
Sie trat an ein Fenster und verbarg ihre Tränen. Die andern
Frauen wollten sie zart beruhigen. „Noch nie," sagte sie, „hat mich
meine Armut so gedrückt wie jetzt. Ich habe weder Geld noch Ge¬
schmeide, und doch möchte ich so gerne auch etwas für mein Vaterland
geben können." Plötzlich aber war ihr bekümmertes Gesicht wie mit
einem Strahle der Freude erleuchtet. „Ich habe doch noch etwas!"
rief sie aus. Schnell schickte sie nach einem Perückenmacher und ließ
sich ihr Haar, das sehr schön und blond war, abschneiden. Der
Perückenmacher zahlte ihr gern über fünf Taler dafür, und mit stiller
Seelenfreude legte Fräulein von Schmettau den Erlös auf den Teller.
Der Beamte, der die Gaben einsammelte, vernahm die Sache, kaufte
dem Perückenmacher die Haare wieder ab und ließ sie in goldene Ringe
fassen. Nun wollte jedermann einen solchen Ring tragen als Denk¬
zeichen dieses schönen Opfers einer deutschen Jungfrau für ihr Vater¬
land. Wie schlug ihr Herz vor Freude, als sie hörte, ihre Haare
hätten der Kasse mehr als 1200 Taler eingetragen!
Haupt.
57. Der Frauensand.
Westlich im Südersee wachsen mitten aus dem Meere Gräser und
Halme hervor an der Stelle, wo die Kirchtürme und stolzen Häuser
der vormaligen Stadt Stavoren in tiefer Flut begraben liegen. Der
Reichtum hatte ihre Bewohner ruchlos gemacht, und als das Maß
ihrer Übeltat erfüllt war, gingen sie bald zu Grunde. Fischer und
Schiffer am Strande des Südersees haben die Sage vom Untergange
der Stadt von Mund zu Mund aufbewahrt.
Am vermögendsten von allen Einwohnern der Stadt Stavoren war
eine Jungfrau, deren Namen man nicht mehr kennt. Stolz auf ihr Geld
und Gut, hart gegen die Menschen, strebte sie bloß, ihre Schätze immer
noch zu vermehren. Flüche und gotteslästerliche Reden hörte man viel
aus ihrem Munde. Aber auch die übrigen Bürger dieser unmäßig
reichen Stadt, zu deren Zeit man Amsterdam noch nicht kannte, wo