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Purgstall hat die persischen Dichter in sieben Perioden getheilt, in
welchen der Reihe nach Ferdusi, Nisami, Chosru, Schirin, vor allen
Dschelaleddin Rumi als die ausgezeichnetsten hervortreten. Dieser
Letztere, der größte mystische Dichter des Orients, „die Nachtigall des
beschaulichen Lebens", war Mitbegründer und Stifter einen neuen mystisch¬
moralischen Richtung der Poesie, in welcher religiöse Beschaulichkeit und
eine gewisse symbolische Bedeutsamkeit vorherrschend waren. Sein Zeit¬
genosse Saadi ist einer der in Europa bekanntesten orientalischen Dichter,
wenn wir den der vierten Periode angehörenden, „den Preiswürdigen, den
Dichterkönig", den Wein und Liebe athmenden Hafis ausnehmen, dessen
Reichthum, Lieblichkeit, Zartheit und glühende Färbung von keinem frü¬
heren und späteren Poeten erreicht, durch die größten unserer eigenen
Dichter uns zum Verständniß gebracht wurde.
„Wohl endet Tod des Lebens Schmerz,
(so singt Dschelaleddin Rnmi)
Doch schauert Leben vor dem Tod.
So schauert vor der Lieb' ein Herz,
Als ob es sei vom Tod bedroht.
Wenn in der Seel' die Lieb' erwacht.
Da stirbt das Ich, der dunkele Despot,
Du laß ihn sterben in der Nacht,
Und athme frei im Morgenroth."
Leicht und süß klingen des Hafis Verse: '
„O war' ich ein See so spiegelhell,
Und du die Sonne, die ihm blickte!
O war' ich ein klarer Wiesenqnell,
Und du die Blume, die ihm nickte!
O war' ich ein grüner Rosendorn,
Und du die Rose, die ihn schmückte!
O war' ich ein süßes, süßes Korn,
Und du der Vogel, der es pickte.
Ich bin ein armes Lämpchen nur,
Ein dämmerndes in dunkler Nacht;
Du bist die lichte Morgenpracht,
Aufstrahlend im Azur.
Du strahle nur, du prange nur!
Wiewohl vor deinem Angesicht
Des armen Lämpchens Auge bricht,
Ich bebe nicht, ich bange nicht;
Du leuchte nur,
Und ich vergehe gern in deinem Licht."
Oeser's Weltgeschichte. II. 5. Ausl.
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