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dere' Aenderung getroffen, indem man anstatt des bisherigen einen Archon
ein jährlich wechselndes Kollegium von neun Personen einsetzte, welche die
Geschäfte unter sich theilten.
So war der athenische Staat ein ari st okratisch es Gemeinwesen gewor¬
den, in welchem die Adeligen alle Ehrenstellen und die volle ausübende Gewalt
besaßen, indem sie die Gerechtsame der ehemaligen königlichen Würde für sich
in Ansprach nahmen und das Regiment im Interesse ihres Standes führten.
Die unbeschränkte Herrschaft des Adels aber war für die geringen Leute in Attika
der Anfang schwerer Zeiten. Die Lasten der Kriegs- und Schifssrüstungen stürz¬
ten die Landlente in Schulden, deren allmähliche Abtragung der hohe Zins
unmöglich machte. Da der Schuldner dem Gläubiger nicht nur mit sei¬
nem Besitze, sondern auch mit seiner Person haften mußte, so entstand ein
Geschlecht von halbfreien und ganz unfreien Landbauern, und es gab we¬
nige Aecker, welche nicht mit dem Pfandsteine bezeichnet waren, auf wel¬
chem der Name des Gläubigers und die Summe der Schuld zu lesen
waren. Nicht minder litt das Volk unter der ungleichen und parteiischen
Rechtspflege, die nur auf überliefertem mündlichen Herkommen und freier
Willkühr beruhte. Die Sehnsucht nach festen, niedergeschriebenen Gesetzen
veranlaßt die Abfassung des ersten athenischen Gesetzbuches durch den
Archon Drakon im Jahre 620 v. Ehr. Es zeichnete sich durch eine so
unerbittliche Strenge aus, daß man von ihm sprüchwörtlich sagte, es sei
mit Blut geschrieben. Auf jedes kleinere oder größere Vergehen war die
Todesstrafe gesetzt. Furcht galt als einziges Mittel der gesetzlichen Sicher¬
heit und der Schauer vor der Strafe sollte das Amt des Richters in
Ansehen erhalten. Das athenische Volk weigerte sich jedoch die neuen
Gesetze anzunehmen, die seinen Zustand um Vieles verschlimmert haben
würden. Zu derselben Zeit fast erhoben sich blutige Streitigkeiten um die
Herrschaft des Landes zwischen Cylon dem Megarer, welcher den Adel
stürzen und die Gewalt au sich reißen wollte, und dem Archontengeschlecht
der Alkmäoniden, unter der Leitung ihres Hauptes Megakles. Die Ent¬
weihung der heiligen Räume, die Verletzung des athenischen Burgfriedens
versetzte das Volk in Angst und Bestürzung. Unzufriedenheit und Gäh-
rung that sich allenthalben kund und drohte in offenen Aufruhr überzuge¬
hen. In dieser Verwirrung trat der athenischen Edlen Einer, Solon,
auf, das Vaterland vom nahen Verderben zu retten. Das übermüthige
Geschlecht der Alkmäoniden, welches die Altäre mit dem Blute der Schutz-
slehenden befleckt hatte, ward verbanut und eine neue Ordnung der Dinge
begann Gestalt zu gewinnen.
- Solon stand im vierzigsten Jahre, als er die höchste Stelle einnahm,
die je ein Bürger zu erreichen vermag. Seine Bildung war, nach athe¬
nischem Sinne, eine vollendete zu nennen. Die Gymnastik und eifriges
Studium in den musischen Künsten hatten seinen Körper und Geist geübt.
Die athenische Jugend wußte noch lange die Sprüche in elegischem Vers-
maaße auswendig, in welchen Solon die Ergebnisse seines Nachdenkens