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ken und Sterbenden hülflos durcheinander, die Häuser und Tempel waren
mit Leichen gefüllt, Aechzen und Wehklagen tönte durch die ganze Stadt. „Da
die Menschen nicht wußten, was aus ihnen werden sollte", heißt es in der
ergreifenden Schilderung des Thuchdides, „so überließen sie sich, überwäl¬
tigt vom Unglück, der Geringschätzung alles Göttlichen und Menschlichen
ohne Unterschied. Sie scheuten das Verbrechen nicht mehr, weil Keiner so
lange zu leben gedachte, bis die Sache vor Gericht entschieden wäre, und
ein schon bestimmtes, viel schlimmeres Strafgericht bereits über seinem
Haupte schwebte, vor dessen Ausbruch er meinte, das Leben billig genießen
zu dürfen. Solche Noth kam jetzt über die bedrängten Athener, da die
Menschen in der Stadt hinstarben und draußen das Land vom Feind ver¬
wüstet wurde."
Perikles suchte mit all' der Kraft uud Standhaftigkeit, deren er fähig
war, das Volk aus seiner tiefen Niedergeschlagenheit aufzurichten. Der
Haß seiner Feinde und Neider aber sammelte alles Unheil auf sein eigenes
Haupt. Man klagte ihn des Uebelwollens, der Fahrlässigkeit an und ent¬
setzte ihn seines Amtes. Als jedoch die Noth stieg und kein Mann vor¬
handen war, der seine Stelle auszufüllen vermochte, ward er wieder zu¬
rückgerufen und mit größerer Macht denn zuvor bekleidet. Doch war auch
feine Stunde nicht mehr ferne. Perikles selbst wurde, wenn auch nicht
tödtlich, von der Seuche ergriffen. Während er genaß, erlagen zwei seiner
Söhne und seine Schwester nebst vielen seiner nächsten Verwandten und
Freunden der schrecklichen Krankheit. Zuletzt ward auch sein dritter und
jüngster Sohn, Paralos, hinweggerafft. Als Perikles, nach üblicher Sitte,
die jugendliche Leiche mit dem Kranze schmückte, sah man ihn zum ersten
Male in seinem Leben in lautes Weinen ausbrechen. Von da an schwan¬
den die Kräfte des vielgeprüften Mannes. Ein schleichendes Fieber zehrte
an seinem Leben. Er starb, nahezu siebenzig Jahre alt, im dritten Jahre
des peloponnesischen Krieges. Als die um das Sterbebette versammelten
Freunde von seinen Verdiensten und Siegen sich erzählten, richtete sich
Perikles noch einmal auf: „Eines habt ihr vergessen, aus das ich am
meisten Werth lege, daß kein Athener je um meinetwillen ein Trauerkleid
angelegt hat." Dies waren seine letzten Worte.
Nach Perikles' Tode fielen die Stimmen der gemäßigten Bürger dem
Nicias zu, einem edlen, tüchtigen, int Felde tapsern, aber im Rathe un¬
geübten und aus Furcht vor der Verantwortlichkeit allzu vorsichtigen Manne,
während die demokratische Partei den' K l e o n wählte, eines Gerbers Sohn,
welcher geschildert wird: als unverschämt und wenig beherzt, träge im Felde,
aber hitzig und vorlaut in der Volksversammlung; eben so tadelhaft in
seinem Betragen, als in seiner Gesinnung, und mit seiner allezeit fertigen,
aber ungebildeten Beredsamkeit das Volk bethörend. — So tief schon
waren die Athener gesunken, daß ein solcher Alaun es wagen durfte, den
Platz des Perikles auf der Rednerbühne und im Rathe einzunehmen.