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In den ersten Frühlingstagen des Jahres 338 zog ein stattliches Kriegs¬
heer vereinigter Griechen nach Böotien, dem macedonischen König entge¬
gen; so sehr aber auch Athen seine Kräfte angestrengt hatte, war seine
Macht doch weder an Zahl, noch durch die Führung dem Feinde gewach¬
sen, denn Philipp befehligte selbst den einen Flügel seines Heeres, wäh¬
rend an der Spitze des andern sein achtzehnjähriger Sohn Alexander stand.
Am Morgen des zweiten August begann die Schlacht bei Chäronea.
Philipp beharrte in ruhiger Abwehr und zog den Kampf mit Absicht in
die Länge, um seine Gegner zu ermüden. Alexander aber, vom raschen
Jugendmuth getrieben, durchbrach die Reihen der Thebaner und brachte
sie trotz ihres heftigen Widerstandes zum Weichen. Neben dem Stadt¬
banner fiel die heilige Schaar bis auf den letzten Mann. Jetzt ging auch
Philipp zum Angriff über, und die Athener theilten alsbald das Schicksal
ihrer Bundesgenossen. Der athenische Feldherr Theagenes fiel selbst im
Kampfe. Die hellenische Bundesarmee erlitt eine vollständige Niederlage.
Tausend athenische Bürger wurden getödtet, zwei Tausend gefangen; noch
stärker war der Verlust der thebanischen Mannschaft.
Schwer gedrückt, kehrten die Reste des geschlagenen Heeres in die
Heimath zurück; Angst und Trauer erfüllten die Hauptstadt. Der acht-
undneunzigjährige Redner Jsokrates starb den freiwilligen Hungertod, um
die Schmach seines Vaterlandes nicht zu erleben. Philipp genoß indeß
seines Sieges in ausgelassener und roher Freude. Auf dem Schlachtfeld,
zwischen den blutigen Leichen der Gefallenen, hielt er das Siegesmahl
und schritt trunkenen Muthes durch die Reiheu seines Heeres, einen Spott-
vers auf Demosthenes singend. Erst als einer der athenischen Gefangenen
ihm zurief: „Du bist zur Rolle des Agamemuon berufen, o König, und
noch bevor, und andere waren schon eingetreten, und bei diesen erforsche den Plan, der
meinen Staatsmaaßregeln zu Grunde lag, und greife nicht durch verläumderische An¬
gebereien den Erfolg an. Denn der Ausgang ist bei allen Sachen vom Willen der
Gottheit abhängig; der Plan aber macht die Denkungsart des Rathgebers selbst offen¬
bar. Daher rechne es mir nicht als Fehler an, wenn Philippos das Glück hatte, in
der Schlacht den Sieg zu erfechten, denn der Ausgang derselben hing von Gott ab
und nicht von mir. Weise vielmehr nach, daß ich nicht Alles, was durch menschliche
Einsicht sich berechnen läßt, ergriffen, und dies, so wie es recht ist, und auch sorgfältig
und emsig über meine Kräfte ausgeführt habe, und daß ich nicht den Gang der Ange¬
legenheiten so geleitet habe, wie es unserer Stadt würdig war, ihr zum Ruhme ge¬
reichte und nothwendig war; und alsdann erst verklage mich. War aber nun der sich
erhebende Sturm nicht allein gewaltiger als wir, sondern auch als alle die andern
Hellenen, was war da zu thun? Gerade, wie wenn Jemand dem Schiffsherrn, der
alles Mögliche zur Rettung des Schiffes angewendet und dasselbe mit alle dem verse¬
hen hat, wodurch er das Schiff hoffte sichern zu können, wenn ihn hernach ein Sturm
trifft und die Ausrüstung des Schiffes beschädigt oder gänzlich vernichtet, die Schuld
des Schiffbruches beimeffeu wollte. Denn er würde dann erwiedern: „aber ich führte
das Steuerruder nicht;" so wie auch ich nicht das Heer befehligte, und nicht über das
Glück herrschte, welches vielmehr über Alles Herr ist."