Full text: [Geschichte des Alterthums] (Theil 1)

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wechselnden Herrschergeschlechter bietet wenig Interesse. Ein Volk, welches 
Jahrtausende auf einer und derselben Stufe stehen bleibt, kann nur einen 
sehr beschränkten Raum in der Weltgeschichte beanspruchen. Einen deut¬ 
lichen Beweis für den niederen Bildungsgrad bietet ihre Sprache, die 
keine Beugung der Wörter, keine Grammatik besitzt, und die aus 450 
Wurzelsylben durch verschiedene Zusammensetzung und durch die Accentui- 
rung ohngefähr 1200 Wörter bildet, wobei begreiflicher Weise ein und 
dasselbe Wort oft 30—40 verschiedene Bedeutungen hat. Die mehr künst¬ 
lich gemalte als geschriebene Schrift besteht aus mehr denn 80,000 Zei¬ 
chen, welche nur von wenigen Auserwählten erlernt werden kann. Ge¬ 
wöhnlich begnügt sich der Chinese mit einer geringen Anzahl von Schrift¬ 
zeichen ; wie überhaupt ein Jeder dort nur lernt, was für seinen Stand 
vorgeschrieben ist, nicht weniger aber auch nicht mehr; da für eine selbst¬ 
ständige geistige Auffassung und Fortbildung kein Raum gegeben ist. Man 
möchte diesem wunderseltsamen Volke in seiner ameisenartigen Geschäftig¬ 
keit als erste hervorstehende Eigenschaft eine völlige Geschmacklosigkeit zu¬ 
sprechen. Gebäude und Gärten, Malereien und Webereien, Geräthe und 
Kunstgegenstände, Alles ist geometrisch abgezirkelt, ohne Schwung und Har¬ 
monie; eckige und winklige Formen, grellglänzende Farben finden sich 
allenthalben. Von Natur häßlich durch die der mongolischen Race eigen- 
thümlichen breiten Backenknochen und schief geschlitzten Augen, entstellen 
die Chinesen ihren Körper noch mehr durch eine seltsam steife und geschmack¬ 
lose Kleidung. So scheeren die Männer sich das Haupt kahl, während als 
Zierde des Hinterkopfes ein lächerlicher Zopf hängen bleibt; die Frauen 
aber pressen ihre Füße zu einer verkrüppelt kleinen Form zusammen, wo¬ 
durch sie einen unsicheren und schwankenden Gang erhalten. 
Die Steifheit und Geschmacklosigkeit der Formen im Kleinen hat sich 
auch in entsprechender Weise auf das öffentliche Leben im Großen über¬ 
tragen. Die Idee des Familienhauptes führt hier zu einer Gewaltherr¬ 
schaft, die kaum irgendwo auf der Erde ihres Gleichen findet und sich vom 
Kaiser, dem Sohne des Himmels, und eigentlichen Gott der Chinesen, 
durch alle bürgerlichen Verhältnisse bis zum Familienvater herab erstreckt, 
der seinerseits wieder unumschränkter Gewalthaber in seinem Hause ist. 
Der entehrenden Strafe der Stockschläge ist jeder Chinese von dem höch¬ 
sten bis zu dem niedersten Stande herab unterworfen. Die ganze chine¬ 
sische Strafgesetzgebung beruht auf körperlicher Züchtigung, und Strafe gilt 
in ihr mit Schadenersatz für gleichbedeutend. 
Die religiösen Begriffe der Chinesen sind arm, nüchtern und durch¬ 
aus auf praktische Zwecke gerichtet. Sie verehren allerdings eine höhere 
Macht und Weltordnung, die aber gleichwohl mit der Anbetung ihres 
Kaisers in Eins zusammenfällt. Der Chinese kennt den Glauben an die 
Unsterblichkeit nicht; er hat kein von der Wirklichkeit getrenntes höheres 
Ideal, zu dem er aufschauen könnte. In China giebt es keine Tempel, 
keine Priester. Der Kaiser bringt die üblichen Nationalopser zu be¬
	        
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