Full text: Gedichte und Prosa (Teil 4, [Abteilung 1 und 2])

Rückert. 
[IVI 165 
Verachte keinen Brauch und keine Flehgeberde, 
Womit ein armes Herz emporringt von der Erde! 
Ein Kind mit Lächeln kämpft, ein andres mit Geschrei, 
Daß von der Mutter Arm es aufgenommen sei. 
8. Gottvertrauen. 
Als wie ein Kind im Schlaf empor sein Auge schlägt 
Und alsobald sein Haupt befriedigt wieder legt, 
Weil nah das Angesicht sich ihm der Mutter zeigt, 
Die wachend über ihr geliebtes Kind sich neigt: 
Beglückt, wer so den Traum des Erdenlebens lebt, 
Und wenn dazwischen er den Blick zum Himmel hebt, 
Die Mutterliebe sieht herniederschauen heiter 
Und lächelnd winken ihm: Ich wache, schlaf nur weiter! 
9. Glückes Übermaß. 
Wen unerwartet Glück mit Unmaß überschüttet, 
Gefördert wird dadurch sein Heil nicht, nur zerrüttet; 
Wie, überströmt mit Ol, statt mäßig angefrischt, 
An ihrer Lebensfüll oft eine Lamp erlischt. 
10. Der Quell in der Wüste. 
In einer Wüste fließt ein Quell durch Gottes Kraft, 
Der hat für Durstige des Wegs die Eigenschaft: 
Wer im Vorübergehn nur schöpfet mit der Hand, 
Der geht erquickt und kühl hinweg im Sonnenbrand. 
Doch wer sich niederläßt am Quell und trinkend ruht, 
Der trinkt sich durstig und verdurstet an der Flut. 
Ihr Pilger dieses Wegs, laßt es gesagt euch sein: 
Schöpft im Vorübergehn nur mit der Hand allein! 
3 
11. Poesie. 
9 
Hauch Gottes, Poesie! o, komm, mich anzuhauchen, 
In deinen Rosenduft die kalte Welt zu tauchen! 
Was du anlächelst, lacht; was du anblickest, glänzt; 
Die Eng erweitert sich, und Weites wird begrenzt. 
Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden, 
Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.