Full text: Grundriß der Geschichte

XI. Zeitalter der Revolution. Erstes Kapitel. 239 
drang, welche die Beraubung der Kirche durch den Eid auf die 
neue Verfassung nicht gutheißen wollten. Als Zeichen freiheit¬ 
licher Gesinnung trug man absichtliche Roheit zur Schau, alle Titel 
und Höflichkeitsformen wurden abgeschafft. In scheinbarer Einigkeit 
wurde ein pomphaftes Verbrüderungsfest gefeiert, bei dem der 
König den Eid auf die Verfassung leistete; aber die Umsturzpartei 
wollte eine Versöhnung nicht. Mit Mirabeau sank die letzte Hoff- 
nung auf Herstellung eines geordneten konstitutionellen Königtums ins 
Grab. Jetzt, für feine Sicherheit fürchtend, zugleich in seinem Ge- 
wissen bedrückt durch die Verfolgung der eidverweigernden Priester, 
versuchte der bis dahin unentschlossene König die Flucht nach der 
Grenze in das Lager treu gebliebener Truppen, aber zu spät. In 
St. Menehould wurde der König von dem Postmeister Drouet, 
einem fanatischen Jakobiner, erkannt, in Varennes angehalten und 
durch eine lOtügige martervolle Reise als Gefangener in die Tui- 
lerieit zurückgebracht. Erst nach unbedingter Annahme der Ver* 1791. 
s assung wurde er durch die Bemühungen konstitutioneller Königsfreunde 
in die sehr geschmälerten Regierungsrechte wieder eingesetzt. 
Die gesetzgebende Versammlung (1791—92), revolutionäre Nebenregierung der 
Jakobiner, Pöbelexcesse; der Konvent (1792—95), Absetzung und Hinrichtung 
des Königs, die französische Republik. 
§ 145. In der neuen legislativen Versammlung schwärmten 
die Girondisten, geistig vornehme Abgeordnete meist von der Gironde, 
in idealistischer Verblendung für eine Republik der anständigen 
Leute nach antiken Vorbildern; der „Berg" (die „montagnards"), die 
Abgeordneten auf den obern Bänken des Sitzungssaales, steuerte da- 
gegen auf eine Republik mit Herrfchaft der niederen Massen und 
mit Krieg gegen Reiche und Vornehme hin. Sie hatten ihre Wurzeln 
im Jakobinerklub, in welchem Robespierre, Danton, Marat u. a. 
eine alles beherrschende revolutionäre Nebenregierung aufrichteten. 
Die Tyrannei des Pöbels gegen die gemäßigten Abgeordneten ward 
unerträglich, die rote Mütze befreiter Galeerensträflinge ward Zeichen 
der Freiheit, die Bezeichnung „Sansculotten" Ehrenname des Pö- 
bels; 30—40000 Pikenmänner drangen in die Nationalversammlung, 
dann mit drohenden und unflätigen Reden in die Tuilerien, König 
und Königin beschimpfend, um den König zur Bestätigung der beschlos- 
senen Deportation eidverweigernder Priester zu zwingen. Der König 
folgte trotz solcher Bedrängnis dem General Lafayette nicht zum Heere 
an der Grenze, weil er diesem ersten Freiheitsapostel nicht traute; er 
hoffte auf Befreiung durch die Preußen und Österreicher, welche 1792, 
unter Androhung eines furchtbaren Strafgerichts über die Aufrührer in 
Frankreich einrückten. Er wurde der Verbindung mit dem Auslande be¬ 
zichtigt und als Volksfeind gestempelt. Aufrührerische Massen 
erstürmten die Tuilerien (9—10. August), metzelten, ungehindert
	        
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