Luther auf dem Reichstage zu Worms.
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Nicht gar groß war der Saal, in welchem die Ver¬
sammlung tagte. An der Wand dem Eingang gegen¬
über saß unter einem Baldachin auf erhöhtem Throne der
junge Kaiser Karl mit seinem blassen, kränklichen Gesichte,
den müden wasserblauen Augen, dem halbgeöffneten
Munde, „wie ein unschuldig Sammlern zwischen wilden
Tieren", hat Luther später erzählt. Hinter ihm standen,
finsteren Blickes, Spanier aus dem kaiserlichen Gefolge.
Die Kurfürsten saßen zu beiden Seiten, ganz in der Nähe
leuchtete der Scharlachmantel des Kardinals und Legaten.
Die Fürsten und Bischöfe saßen, die Grafen, Herren,
Ritter und die Abgesandten der Städte standen. Viel
Volks schob sich mit Luther zugleich in den Saal; als er
vortreten sollte, entstand ein solches Gedränge, daß man
mit Hellebarden und Stangen Raum schaffen mußte, da¬
mit er vor den Kaiser kommen konnte.
Luther trat mit heiterer Miene herein und ließ seine
Augen hierhin und dorthin wandern über Feinde und
Freunde, die vor ihm und um ihn durcheinander saßen
und standen. Ziemlich vorn entdeckte er einen Ratsherrn
aus Augsburg, seinen guten Freund. „Doktor, seid Ihr
auch hier?" fragte ihn Luther verwundert und ohne Scheu
vor der Majestät des Kaisers. Als er nun nahe vor dem
Kaiser stand, fühlte er wohl, wie viele Tücke und List
feiner Feinde wider ihn gerichtet war, er stand verlassen
da, wie eine Feldblume, die jedem Unwetter preisge¬
geben ist.
Es war ein Tisch ausgestellt, mit Büchern und Schrif¬
ten bedeckt, daran faß ein geistlicher Beamter; der hieß