Full text: Lebensbilder aus der neueren Geschichte

Luther auf dem Reichstage zu Worms. 
25 
Nicht gar groß war der Saal, in welchem die Ver¬ 
sammlung tagte. An der Wand dem Eingang gegen¬ 
über saß unter einem Baldachin auf erhöhtem Throne der 
junge Kaiser Karl mit seinem blassen, kränklichen Gesichte, 
den müden wasserblauen Augen, dem halbgeöffneten 
Munde, „wie ein unschuldig Sammlern zwischen wilden 
Tieren", hat Luther später erzählt. Hinter ihm standen, 
finsteren Blickes, Spanier aus dem kaiserlichen Gefolge. 
Die Kurfürsten saßen zu beiden Seiten, ganz in der Nähe 
leuchtete der Scharlachmantel des Kardinals und Legaten. 
Die Fürsten und Bischöfe saßen, die Grafen, Herren, 
Ritter und die Abgesandten der Städte standen. Viel 
Volks schob sich mit Luther zugleich in den Saal; als er 
vortreten sollte, entstand ein solches Gedränge, daß man 
mit Hellebarden und Stangen Raum schaffen mußte, da¬ 
mit er vor den Kaiser kommen konnte. 
Luther trat mit heiterer Miene herein und ließ seine 
Augen hierhin und dorthin wandern über Feinde und 
Freunde, die vor ihm und um ihn durcheinander saßen 
und standen. Ziemlich vorn entdeckte er einen Ratsherrn 
aus Augsburg, seinen guten Freund. „Doktor, seid Ihr 
auch hier?" fragte ihn Luther verwundert und ohne Scheu 
vor der Majestät des Kaisers. Als er nun nahe vor dem 
Kaiser stand, fühlte er wohl, wie viele Tücke und List 
feiner Feinde wider ihn gerichtet war, er stand verlassen 
da, wie eine Feldblume, die jedem Unwetter preisge¬ 
geben ist. 
Es war ein Tisch ausgestellt, mit Büchern und Schrif¬ 
ten bedeckt, daran faß ein geistlicher Beamter; der hieß
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.