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Schülern einen Knopf vom Rocke verloren, und der Philosoph hef¬
tete, während des Vortrages, fortwährend seinen Blick auf die leere,
Stelle. Nach einigen Monaten *) ließ der junge Mann seinen
Knopf annahen und Kant wurde in seinem Vortrage gestört. Er
sprach, ganz gegen seine Gewohnheit, ohne Verbindung und Zusam¬
menhang. Nach dem Collegio rief er den jungen Mann zu sich.
„Sie hatten" sagte der Philosoph: „sonst keinen Knopf hier auf
dem Rocke?" — Der junge Mann glaubte, (und nicht ganz mit
Unrecht) sein Lehrer wolle ihn auf die, lange Zeit nachgcsehene, Un-
ordentlichkeit aufmerksam machen und er entschuldigte deshalb seine
Nachläßigkeit. Kant sagte aber lächelnd: „nein! nein! im Gegen-
theil! der Knopf stört mich. Ich wünschte wohl, daß Sie ihn wie¬
der wegnehmen ließen."
Indessen mag sich diese Anecdote wohl erst in spateren Jah¬
ren zugetragcn haben, wo sein Kopf überhaupt schon durch das an¬
haltende Arbeiten und durch die beständige Beschäftigung mit Din¬
gen, die außerhalb unsers Sinnenkreises liegen, so geschwächt und
abgestumpft war, daß er das Gedächtniß beinah völlig verlor. Ein
Engländer, der ihn und seine Werke schon seit Jahren, bewunderte
und verehrte, soll ihn in diesem Zustande gesehen haben und bei sei¬
nem Anblicke in lautes Weinen ausgebrochen fein.
So hatte er auch gegen das Ende seines Lebens die Gewohn¬
heit, seine Gedanken, ohne, daß er cs wußte, laut auszusprechen.
„Mein Gott!" sagte er ein Mal mitten in einer großen Gesellschaft
*) Freilich etwas spat! Wermuthlich ist der Junge Mann auch ein an¬
gehender Philosoph gewesen, daß er geglaubt hat, auf sein Aeußeres so we¬
nig Acht geben zu dürfen. Seinen ehrwürdigen Lehrer, von dem wir in die¬
ser Hinsicht ganz Anderes gehört haben, hat er leider! darin nicht nachge¬
ahmt. Wolle doch ja Niemand glauben, daß ein vernachlässigtes Aeußere
einen Philosophen macht.