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5. Die Veme. 
Der Reichtum brachte besonders in den oberen Schichten der Be¬ 
völkerung den Städten Hang zur Prunksucht, zu üppigem Leben. Die 
Cmtcmuinj guter, christlicher Sitte ging damit Hand in Hand. Rauf¬ 
lust der Bürger untereinander führte nicht selten zu heftigen Straßen- 
tämpfen der verschiedenen Parteien, denen die Kaiser, zuletzt Maximilian L, 
vergeblich durch strenge Polizeiverordnung zu steuern suchten. Neben 
ticr Willkür in den Städten waren Fehdesucht uud Faustrecht trotz des 
gebotenen Landfriedens und des neuen Kammergerichts nicht zur Ruhe 
gekommen. Nur einzelne Landesherren des Reichs waren fähig, ihr 
Regiment thatkräftig zu führen Da rang sich das Volksleben des 
Mtttelalters nach zwei Seiten hin zu gesunder Entwicklung hindurch: 
das war die Rechtspflege, über welche die Veme ihre Herrschaft breitete, 
bis sie unter den eigenen Mängeln ihren Verfall finden mußte, sobald 
das eindringende römische und kanonische Recht besseren Strafprozeß 
bot, dann das Streben nach religiös sittlicher Bildung, das in der 
Reformation seinen Sieg finden sollte. 
Die Veme ist in: Laufe der Zeiten mit viel Geheimnisvollem, 
darum oft Unwahrem umkleidet worden; doch die neueste Geschichts¬ 
forschung zeigt ihre Entstehung nicht als einen Gewaltakt in der Hand 
von Dunkelmännern, die das Tageslicht scheuten. Die Vemgerichte sind 
vielmehr ans dem naturgemäßen Prozeß einer Rechtsentwicklung ent¬ 
standen, die sich an das germanische Staatsleben band. 
In diesem Sinne leitete die Veme selbst ihren Ursprung auf Karl 
den Großen zurück, und alle Gerichte des Mittelalters gründen sich 
auf die Grafschaftsgerichte, welche durch Karl den Großen nach 
fränkischen Rechtsgewohnheiten neu geordnet wurden. Die Graf¬ 
schaftsgerichte schieden sich im zwölften Jahrhundert (1170) in Frei¬ 
grafschaft, über die persönlich und dinglich Freien, also mit freiem 
Besitz, und Gografschaft, über Landsassen d. i über Freie ohne freies 
Eigentum. Der Grund dieser Trennung lag in der wachsenden Fürsten- 
gewalt, welche sich zunächst der schwächsten Klasse, den Landsassen 
gegenüber, geltend machen konnte. Darum wurde auch die Gograf- 
fchstft rein landesherrlich, während der Landesherr, als Inhaber der 
Grafschaft und als Stuhlherr, den Freigrafen als Vorsitzenden des Frei¬ 
gerichts bc|tcttte. Doch den Bann, das heißt, die Erlaubnis, Recht zu 
sprechen, erhielt der Freigraf nur vom König. Die Rechtsbücher
	        
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