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nennt man Urliste. Sie ist ans dem Rathause zu jedermanns Einsicht 8 Tage
lang aufzulegen. Während der Auflagefrist kann Einsprache erhoben werden gegen
die Richtigkeit bezw. Vollständigkeit der Urliste, welch letztere an den Amtsrichter ein¬
gesandt wird. Dieser stellt die Urlisten der Bezirksgemeinden zusammen und wählt
unter Mitwirkung des Oberamtsrichters sowie von sieben Vertrauensmännern die
Schöffen für die Sitzungen eines Jahres aus. Die Schöffen erhalten Vergütung der
Reisekosten.
2.) Die Strafkammern der Landgerichte sind Zuständig für alle den Schöffen¬
gerichten nicht überwiesenen Verbrechen, ferner für die mit Zuchthausstrafe bis zu
5 Jahren bedrohten Verbrechen, ebenso für schwere Verbrechen solcher Personen,
welche zur Zeit der That das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Die
Entscheidung wird gefällt durch fünf Richter ohne Mitwirkung von Schöffen.
3) Durch die Schwurgerichte kommen die schwersten, mit mehr als 5 Jahren
Zuchthaus bedrohten Verbrechen zur Aburteilung. Sie treten alle Vierteljahre bei den
Landgerichten zusammen und bestehen aus 3 Richtern und 12 Geschworenen. Diese
haben nur darüber zu entscheiden, ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig sei,
während das Maß der Strafe durch die Richter festgesetzt wird. Zur Leitung der Be¬
ratung und Abstimmung wählen die Geschworenen — aus dem Volke gewählte Männer, von
denen Rechtskenntnis nicht verlangt wird — einen Obmann.
4. ) Der Strafsenat des Oberlandesgcrichts besteht aus 5 Richtern. Er ent¬
scheidet insbesondere als Gericht „letzter Instanz" endgültig über das Rechtsmittel der
Revision gegen Urteile der Strafkammern in der Bernfsinstanz.
5. ) Das Reichsgericht, der gemeinsame oberste Gerichtshof des deutschen Reichs,
hat seinen Sitz in Leipzig. Es entscheidet endgültig in Strafsachen. Bei Hoch¬
verrat oder Landesverrat gegen Kaiser und Reich ist nur das Reichsgericht
zuständig.
Die Staatsanwaltschaft. Bei jedem Gerichte ist die Staatsanwaltschaft thätig.
In der Hauptsache unabhängig von dem Gericht, bezweckt sie die Verfolgung strafbarer
Handlung und die Ueberwachung der Strafvollstreckung.
Die Gerichtsschreibcrei befaßt sich mit der Protokollsührung bei den Gerichts¬
sitzungen und der protokollarischen Aufnahme der Klage.
Die Oeffentlichkeit nnd Mündlichkeit des gerichtlichen Strafverfahrens ist all¬
gemein. Die Anklagen haben in der Regel von der Staatsanwaltschaft auszugehen.
Jedermann steht es frei, bei dieser eine strafbare Handlung zum Zweck der gericht¬
lichen Verfolgung anzuzeigen. Gewisse Vergehen und Uebertretungen jedoch, die das
Gemeinwohl nicht oder nur wenig berühren, können nur auf Antrag des Verletzten
bestraft werden. Solche Antragsvergehen sind: Hausfriedensbruch, einfache
Sachbeschädigung, Entwendung von Nahrungs- und Genußmitteln in geringer Menge
nnd von unbedeutendem Werte, leichte vorsätzliche und jede fahrlässige Körperver¬
letzung, Beleidigungen, Diebstahl, Unterschlagung und Betrug gegen Angehörige u. s.
w. Innerhalb 3 Monaten von dem Tag an gerechnet, an dem der Kläger
Kenntnis von der Handlung und der Person des Thäters bekommt, muß der Straf¬
antrag bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei
einer andern Behörde schriftlich angebracht werden.