Object: Lesebuch für die katholischen Wiederholungsschulen Österreichs

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messenen Schritten, reitet sein Steckenpferd, setzt mit Anstand den 
Hut auf, macht Buͤcklinge umd streckt seinem Tanzmeister dan⸗ 
kend die Pfote dar. Alles dieß thut er unter beständigem Brum— 
men; allein Manlkorb und Stock verbieten ihm, den Gelüsten zu 
folgen, und die Kette hält fortwährend seine Aufmerksamkeit ge— 
spaumt. Im Bärengraben schreitet er auf und nieder; wie ein Land— 
vogt auf den Tron setzt er sich zuweilen auf die Tanne und schaut 
die Umstehenden an. Wirft man ihm eine Abgabe in Natura hin, 
seien es Äpfel oder Brot: er weiß sie geschickt zu fangen, indem 
er, aufrecht sitzend, den Leib hin und her wiegt und nach dem Zu⸗ 
geworfenen schnappt. 
Der Bär scheint seiner Vorzüge sich wohl bewusst und hält 
die eigenen Kin der für die schönsten und artigsten. Es sind kleine, 
dicke'Fettklumpen und stockblind, wenn sie zur Welt kom⸗ 
men; er leckt sie aber beständig mit seiner glatten Zunge und 
wälzt sie mit der Tatze hin und her. Schnell wachsen sie groß und 
gleichen dann vollkommen den Alten. Wie sorgfältig auch seine 
Erziehung sein mag, der Bär bleibt immer gefräßig und räu— 
berisch, und sein dumpfes, mürrisches Brüten erwächst zur 
blinden Wut, wenn er nicht erreicht, wonach sein Streben geht. Aus 
seiner Wohnung zieht er in's Feld, spähet von den Höhen hernie⸗ 
der, stürzt hinter den Felsen hervor, treibt Schafe über den Ab— 
grund, erdrückt die Kälber und trägt sie in seinen Armen fort. 
Der Herde lauert er auf, bis sie zur Weide geht, oder bricht in 
den Stall ein und holt sich ein Rind, wie der Fuchs ein Gaäns— 
lein. Gereizt sieht er nur seinen Feind, geht ihm aufrecht entge— 
gen und schlaͤgt grob und unbeholfen drein. Wer unversehens dem 
zornigen Thiere begegnet, darf sich nur todt stellen; dann beschnüf⸗ 
felt es ihn und wendet ihn um, geht aber brummend weiter, ohne 
hm Leides zu thun. Das Glockengeläute mag der Bär nicht 
hören; es bringt ihn in Wut; er reißt die Schellen den Kühen 
vom Halse und schlaͤgt sie breit. So grimmig er ist, so wird man 
doch leicht seiner Herr; wer Besonnenheit behält, mag des Zor— 
nes dieses Raubthieres spotten. Ein beherzter Jaͤger geht ihm mit 
dem Knittel entgegen und trifft ihn auf die Nase, welches sein em⸗ 
pfindlichstes Organ ist. Manche Jäger tanzen auch wohl vor ihm, 
reden ihn foppend an, bitten um Erlaubnis, mit ihm kämpfen zu 
dürfen; denn Vaͤrenjagd ist ergoͤtzlich und eben so gefaͤhrlich nicht.
	        
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