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noch an eine unerfreuliche Tatsache erinnert. Es findet ein ständiger
Abfluß der Bevölkerung des Landes nach den genannten Städten statt,
deren vielfache Erwerbsquellen hauptsächlich den Arbeiter anlocken und
die jungen rüstigen Männer besonders gern aufs Schiff und aufs Meer
ziehen. Hierdurch werden dem Lande die Arbeitskräfte geraubt. Aus
diesem Zuge nach der Großstadt erklärt sich aber auch im wesentlichen das
langsame Anwachsen der Bewohnerzahl des Bezirks von einer Volks¬
zählung zur andern. Die reichen, ausgedehnten Marschen und die zum
Teil so günstig gelegenen Ufer- und Küstengebiete lassen ein viel stärkeres
Wachstum der Bevölkerung erwarten, als wir es finden.
3. Hamburg und Bremen beeinflussen die Wirtschaftsverhältnisse des
Stadischen aber auch in günstigem Sinne. Infolge ihrer Reichtümer und
ihrer großen und mannigfachen Bedürfnisse bilden sie einen stets kauf¬
kräftigen und kauflustigen Markt für die Erzeugnisse der umliegenden
Gebiete. Das kommt vor allem der Entwickelung des Pflanzenbaues
und der Viehzucht zugute. Der Obstbau im Alten Lande stände nicht in
solcher Blüte, wenn der Hamburger Markt nicht so nahe wäre. Ebenso
gliche das südliche Gebiet der Marsch Osterstade nicht einem großen Gemüse¬
garten, wenn nicht seine Erzeugnisse in Bremen stets willige Käufer fänden.
Auf Millionen belaufen sich ferner die Einnahmen, welche die Bewohner
der nahen und weiter abgelegenen Marschen und der Geest- und Moor¬
gebiete alljährlich für die Erzeugnisse ihrer Viehzucht aus den großen
Städten holen; sie liefern ihnen ,,vom einzelnen Hühnerei an bis zum
tausendpfündigen Ochsen" und nehmen dafür klingende Münze mit heim.
Endlich finden auch die Produkte der zahlreichen Ziegeleien der Marschen
und der Torfindustrie der Moore in den genannten Städten willkommene
Absatzgebiete. Alle diese Erzeugnisse des Landes, besonders aber sein
Obst und sein Vieh werden auf ihrem Markte nicht nur für den eigenen
Bedarf angeboten, sondern auch, damit der Großhandel sie von hier aus
zu Wasser und zu Lande in andere Länder und Städte führe. Das alles
bringt Geld und daher Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit in die Land¬
schaft und hebt deshalb die heimischen Erwerbszweige. Es darf behauptet
werden, daß der größte Teil der Reichtümer besonders der Marschbewoh¬
ner aus Hamburg und Bremen-Bremerhaven ins Land geflossen ist. Was
das bedeutet, kann man an Gegenden beobachten, die fernab vom Verkehr
der großen Städte liegen und daher keinen genügenden und lohnenden
Absatz für ihre Erzeugnisse besitzen. Dort fehlt oft alle Lust zu Unter¬
nehmungen, die viel mehr erzeugen, als der eigene Bedarf erfordert.
4. Eine Großstadt zieht aber nicht nur die Bewohner und Erzeugnisse
ihrer Umgebung an sich, sondern sie dehnt sich auch mit ihrem eigenen
Wirtschaftsleben über ihre Grenzen hinaus. Für das Stadische macht sich
dies am auffallendsten im Westen in bezug auf Bremen-Bremerhaven