V.
Das Deutschtum im Auslände.
30. Die deutsche Auswanderung.
„Uberall in fernen Teilen der Erde rvohnen Tausende unserer
Landsleute. Deutsche Güter, deutsches Wissen, deutsche Betrieb-
samkeit gehen über den Ozean." Diese Worte unsers Kaisers
bezeichnen kurz und treffend nicht allein den jetzigen Stand der
Weltlage Deutschlands, sie weisen zugleich auf die' dem deutschen
Volke eigentümliche Beweglichkeit hin. Wenn es auch in der
Natur jedes lebenskräftigen Staatsgebildes liegt, selbst bei einem
ganz allmählichen Fortschritt zuletzt doch ans Meer zu gelangen
und alsdann die Vorteile des überseeischen Handels direkt zu
genießen, so wird doch bei uns die Tatsache noch nicht genug
beachtet, „daß das Meer die Ausbreitung einer politischen Herrschaft
erleichtert, und daß es dem Verkehr die Möglichkeit der größten
Ausdehnung gewährt," wie Fr. Ratzel in seiner beachtenswerten
Schrift „das Meer als Quelle der Völkergröße" nachgewiesen hat.
Verkehr und Politik gehen auf allen Stufen eines vorwärts-
schreitenden Staates Hand in Hand, und doppelt stark ist das
Band, das die Politik, die über die Landkarte hinausgreift, mit
dem Verkehre verknüpft. Diese Wirtschaftspolitik kann sich aber
nur auf einen beweglichen Volkskörper stützen. Jeder Staat,
jedes Volk läßt sich mit einem beweglichen Körper vergleichen, der
im Vorschreiten sich ausbreitet und im Zurückweichen sich zu-
sammenzieht; alte Zusammenhänge werden aufgegeben, neue
werden gebildet. Darauf deuten Bezeichnungen hin, die wir oft
gebrauchen, ohne uns etwas dabei zu denken, so „Völkerflut",
„Völkermeer", „Völkerinsel". Ein Volk ist indessen beweglicher
als das andere. Die größere oder geringere Beweglichkeit ist
bedingt durch die innern Eigenschaften des Volkscharakters, durch
die äußern Einflüsse der geschichtlichen Verwicklungen und durch
das mehr oder minder dichte Abhängigkeitsverhältnis des Staates
vom Boden.
Eins der beweglichsten Völker ist das deutsche Volk.
Im Charakter der Germanen ist der Trieb zum Wandern,
der von jeher deutsche Ansiedler in alle Weltgegenden gebracht
hat, stark ausgeprägt. Schon aus grauer Vorzeit dringen Nach-
richten von dem Wandertrieb unserer Altvordern zu uns. Von
bestimmtem Ausdehnungserscheinungen deutscher Völker berichtet