Full text: Für die Mittelstufe der Lehrerseminare (Band 3, [Schülerband])

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aus dem Leben und Bewußtsein des Volles — „es geht vom Leben aus und führt dahin 
zurück“ —, welches es treu abspiegelt und so sich als des Volkes volles Eigenthum darstellt. 
Die einzelnen Sagen gruppieren sich um einen bestimmten Mittelpunkt, eine großartige Be⸗ 
gebenheit oder bedeutende Persönlichkeit; in der Jlias ist dieser Mittelpunkt, auf den sich 
alle anderen Begebenheiten zurückführen lassen, der Zorn des Achilles, im Nibelun gen⸗ 
liede der Tod Siegfrieds, in der Odyssee, in Gudrun, im Cid sind es die Helden⸗ 
gestalten, die diese Namen nennen. Hat das Epos überhaupt seinen eigentlichen Werth da— 
durch, daß es das symbolische Gemälde eines ganzen Zeitalters (eines Weltkreises) ist, so wird 
der Reiz des Volksepos noch dadurch gesteigert, daß die Zeit, welche es darstellt, eine jugend⸗ 
liche ist mit ursprünglichen Einrichtungen, Lebensformen, kindlichem Glauben, naiver Welt-⸗ 
anschauung. Der Held des Volksepos ist zugleich das Ideal seines Volkes und seiner Zeit. 
Aus dem Volksepos hat sich dann, mit künstlerischem Bewußtsein nachgebildet, das Kusnst— 
epos entwickelt, welches an Stelle des geschwundenen naiven Volksglaubens, der verlorenen 
Einfalt der Verhältnisse und Weltanschauung die erfindende Kunst der Phantasie des Dichters 
setzt, daher es denn auch nicht in dem Maße, wie das Volksepos, populär werden kann; 
auch in Form und Sprache verräth es meist mehr die Hand der Kunst, als des unmittelbaren 
Schaffens aus Gemüth und Leben. 
Solche sind: Virgils „Aneis“; Dantes „Gbttliche Komödie“; Ariostos „Ra— 
sender Roland“; Taffoͤs „Befreites Jerusalem⸗; Camoens „Lusiaden“ (d. h. Portu⸗ 
giesen); Pareival; Tristan und Isolde; Klopstocks „Messias“; Miltons „Verlorenes 
Paradies“; Linggs „Volkerwanderung“; Schexenbergs „Waterloos Jordans „Sieg⸗ 
friedssage“ — Goethes „Hermann und Dorothea“ ist zur Gattung des bürgerlichen 
Epos zu rechnen; der Dichter hat die Handlung dieses herrlichen Epos in den beschrntlen 
Kreis der mittleren Stände, des bürgerlichen Lebens, darum gestellt, weil die Prosa unserer 
modernen Zustäude — in welchen der Einzelne kein vollständiger Mensch ist, einseitig sein 
muß, die Gesellschaft in verschiedene Stände gesondert und durch konventionelle Formen 
ebunden erscheint, der Einzelne an den großen Vorgängen nur einen beschrͤnkten Antheil 
vur in der Gegenwart ein Heldenthum und Heldenebos im Sinn und Geist der Men 
unmöglich macht. 
») Roman. Am nächsten dem Epos verwandt ist der Roman, ein Epos in Prosa, „das 
Epos der modernen Welt“. Und auch geschichtlich ist der Roman aus der prosaischen Be⸗ 
arbeitung der mittelalterlichen Kunstepen im 14., 15. und 16. Jahrhundert hervorgegangen 
und hat seinen Namen davon erhalten, daß jenen Epen meist fremdländische, romanische 
Stoffe zugrunde lagen. Es gruppieren sich auch in ihm mehrere Erzählungen um einen 
bestimmten Mittelpunkt, mit dem sie zu einem organischen Ganzen verwachsen. Aber während 
das heroische] Epos auf welthistorischem Boden sich bewegt, erzählt der Roman Schicksale, 
Handlungen, Gesinnungen eines Einzellebens; im Epos ist die objektive äußere, im Roman 
die innere Welt die Hauptsache; und während das Epos uns mitten in die Handlung ein— 
führt und den Helden gleich in voller Kraft und Größe darstellt, beschreibt der Roman das 
Werden, die allmähliche Entwicklelung des Helden. Indem er diesen, umgeben von einer 
Anzahl Nebenpersonen, im Kampfe des Lebens darstellt und durch Irrungen und Hemmnisse 
zu Läuterung und Sieg hindurchdringen oder auch unterliegen läßt, wird er ein Bild des 
Lebens; und das soll er sein. Wie das Epos, verlangt auch er Einheit der Handlung und 
Konsequenz der Charakteristik und Wahrheit der Motivierung. Die Einwirkung übernatür— 
licher, übermenschlicher Kräfte ist dabei ausgeschlossen. Wie sich der Roman aber vom Drama 
unterscheide, darüber äußert sich Goethe (W. Meister, 5. Buch, 7. Kapitel) in folgender 
Weise: „Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Begebenheiten vorgestellt werden, im 
Drama Charaktere und Thaten, der Roman muß langsam gehen, und die Gesinnungen der 
Hauptfigur müssen, es sei, auf welche Weise es wolle, das Vordringen des Ganzen zur Ent— 
wickelung aufhalten. Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach 
dem Ende drängen und nur aufgehalten werden. Der Romanheld muß leidend, wenigstens 
nicht in hohem Grade wirtend sein; von dem dramatischen verlangt man Wirkung und That.“ 
3.8 giht sehr verschiedene Arten von Romanen, freie (d. h. auf freier Erfindung der 
Phantasie beruhende, hissorische inltuchistorsche, Familien-⸗Romane, Tendenzromane voli—
	        
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