Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

23. Die politischen Parteien in der Rennbahn zu Constantinopel. 107 
blaue Partei als die Stütze seines oft wankenden Thrones. Die Kai¬ 
serin Theodora war nämlich die Tochter des Akakius, welcher für die 
grüne Partei die Fütterung der Bären besorgte und zur Zeit des Kai¬ 
sers Anastasius starb. Seine Wittwe, welche bald einen andern Mann 
fand, nahm für diesen das Amt ihres ersten Mannes in Anspruch, 
drang aber nicht durch; sie ließ hierauf ihre drei, damals noch sehr 
jungen Töchter, unter welchen Theodora die zweite war, während einer 
Thierhetze in den Hippodrom, mit Kränzen ans den Köpfen und in den 
Händen, gehen, und die Gnade der grünen Partei erflehen, aber die 
Bitten der Kinder fanden bei den Grünen nicht geneigtes Gehör. Da¬ 
gegen erbarmten sich ihrer die Blauen, und diese verliehen der Mutter 
das Amt der Bärenfütternng, welches auch bei ihrer Partei damals 
erledigt war. Aus diese Weise ging Theodora zur blauen Partei über 
und blieb dieser Partei sowohl als Schauspielerin, wie späterhin als 
Kaiserin mit eben so großer Leidenschaftlichkeit ergeben, als sie die grüne 
haßte, wegen der Zurückweisung, welche sie in ihrer Jugend mit ihren 
Schwestern von dieser Partei erfahren hatte. — Die unruhigen Köpfe der 
Parteien führten eine ganz neue und von der römischen Sitte abwei¬ 
chende Mode ein. In der Bekleidung ihrer Schultern, Schenkel und 
Füße befolgten sie die Sitten der Hunnen. Des Nachts trugen sie 
ohne Scheu Schwerter, des Tages aber verbargen sie zweischneidige 
Dolche unter ihren Gewändern; sie vereinigten sich, so bald es dunkel 
wurde, in Rotten, plünderten auf dem Markte und in engen Gassen 
schuldlose Menschen, und raubten denen, welche sie antrafen, Kleider, 
Gürtel, goldene Spangen oder was sie sonst trugen. Manche tödteten 
sie auch, damit sie den Raub, welcher an ihnen verübt worden, nicht 
verrathen möchten. Da nun keine der Obrigkeiten des Volkes diesem 
Unwesen steuerte und die Verbrecher strafte, so wurde der Frevel mit 
jedem Tage zügelloser. Diejenigen, welche zur grünen Partei gehörten, 
vereinigten sich, da die Uebermacht ans so entschiedene Weise auf der 
Seite der andern Partei war, theils mit ihren bisherigen Feinden, theils 
verließen sie die Hauptstadt; viele der grünen Partei wurden von ihren 
Feinden getödtet, manche starben durch die von den Beamten gegen sie 
verhängten Todesstrafen. Selbst die Verwaltung der Gerichtsbarkeit 
wurde durch die Parteiung gehemmt, indem die Richter nicht nach den 
Gesetzen urtheilten, sondern jeder Richter seine Parteigenossen begün¬ 
stigte, und kein Richter blieb nngestraft, welcher es wagte, ein Urtheil 
zum Nachtheil eines Genossen der herrschenden Partei zu fällen. 
Die Bedrückung der grünen Partei veranlaßte endlich einen Auf¬ 
stand, der unter dem Namen der Nika-Empörung bekannt ist, den Kaiser 
Justinian fast um Thron und Leben gebracht hätte und, außer der 
Niedermetzelung von mehr als 30,000 Menschen, die Zerstörung einer 
großen Zahl von prächtigen Gebäuden der Stadt veranlaßte. Dieser 
furchtbare Aufstand ereignete sich bei Gelegenheit der Spiele, womit im 
Januar 532 Justinian sein fünftes Regierungsjahr feierte. Die grüne 
Partei erhob nämlich Klagen über die Bedrückung, welche sie erfuhr;
	        
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