Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

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I. Deutschland vor der Völkerwanderung. 
lung, daß mittelst desselben symbolisch die Besitzergreifung der betref¬ 
fenden Landstriche durch die königliche Gewalt erfolgte, und dadurch dann 
der König den letzteren zu Schutz und Vertheidigung, das Land aber 
ihm zu Treue und Gehorsam verpflichtet war. 
Eine wesentliche Kräftigung der königlichen Gewalt scheint in der 
oberpriesterlichen Würde, welche der König in der Regel zugleich mit 
bekleidete, beruht zu haben. Die äußeren königlichen Auszeichnungen 
waren demgemäß mit den oberpriesterlichen fast ganz identisch. Das 
lange Haar, eine goldene Stirnbinde und ein Stab, so wie der Ge¬ 
brauch eines Stiergespanncs werden uns als solche namhaft gemacht. 
Die fränkischen Könige wurden wegen des langen Haares „Reges 
criniti“ genannt und konnten durch Abschneiden des Haares zur könig¬ 
lichen Würde unfähig gemacht werden. Zu dem königlichen Schmucke 
traten im Laufe der Zeit goldene Ketten, Ringe, mit Gold und Edel¬ 
steinen besetzte Waffen hinzu. Ihre Macht in weltlicher Beziehung war 
sehr eingeschränkt. Der König führte zwar den Vorsitz in der Volks¬ 
versammlung, allein mehr als Rathgeber wie als Machthaber, und es 
wurden seine Vorschläge nicht selten von derselben verworfen. Doch galt 
der König als der Erste im Lande, als das Haupt des ganzen Volkes, 
und das Geschlecht, aus welchem er entnommen war, demzufolge als 
das edelste (stirps regln). Auf seinem Leben stand daher die höchste 
Buße; auch bewahrte das Volk ihm eine unerschütterliche Treue und 
Anhänglichkeit. 
Der König durfte nur besiegten Völkern eine Abgabe auferlegen; 
vom eigenen Volke empfing er lediglich Geschenke, insbesondere an Vieh 
und Früchten. 
Die Gaufürsten. Bei denjenigen Stämmen, wo eine demokra¬ 
tische Regierungsform eingeführt war, werden die höchstenFriedensobrig- 
keiten von den Geschichtschreibern mit dem Namen „prineipes" (Gau¬ 
fürsten) bezeichnet. Sie gingen aus der freien Wahl des Volkes in 
offener Volksversammlung hervor, und ihnen war zunächst vor Allem 
eine richterliche Thütigkcit anvertraut. Sie waren, wie der König im 
höchsten Gericht, an die rechtliche Meinung der Beisitzer gebunden, hat¬ 
ten nur die Verhandlung zu leiten, dem Urtheil die obrigkeitliche Weihe 
zu ertheilen und die Vollstreckung anzuordnen. 
Die Dauer der Stellung der Gaufürsten war lebenslänglich, und 
cs unterschied sich dieselbe hierdurch sehr wesentlich von derjenigen der 
höchsten Obrigkeit des Krieges, welche nur für die Dauer des jedes¬ 
maligen Feldzuges eingesetzt, dafür aber auch mit einer, für die Er¬ 
füllung ihrer Aufgabe unerläßlichen, höheren Gewalt ausgerüstet wurde. 
Ihnen war die Leitung der Rechtspflege innerhalb des Gaues und der 
Gemeinde, sofern solche nicht eine höhere Entscheidung erforderte, so wie 
der Vorsitz in der Gau- und Gemeindeversammlung übertragen; eben 
so lag ihnen, gleich den Gaufürsten bei den demokratischen Stämmen, 
die Führung der Kriegsmannschaften ihres Gaues ob. 
Auch in den monarchischen Staaten gab es neben dem Könige noch
	        
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