Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

14. Odoaker. Theodorich der Große. 
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da regte sich in Vielen die Sehnsucht, unter seine Herrschaft zu kom¬ 
men. Das konnte Theodorich nicht verborgen bleiben, und der Unmuth 
über solchen Undank erfüllte das Gemüth des bis dahin so milden und 
gerechten Mannes mit Bitterkeit und Mißtrauen, durch die er sich zu 
tyrannischer Härte und Willkür verleiten ließ. Sein Argwohn war 
nun einmal rege geworden, und um so leichter schenkte er der Anklage 
gegen einen angesehenen römischen Senator auf verrätherische Verbin¬ 
dung mit dem Kaiser Glauben. Boethius, ein anderer Senator, über¬ 
nahm die Vertheidigung des Angeklagten. Er hatte sich durch Gelehr¬ 
samkeit und Rechtschaffenheit das volle Vertrauen Theodorich's erworben; 
aber durch seine strenge Gerechtigkeitsliebe hatte er sich auch die Feind¬ 
schaft vieler schlechten Menschen zugezogen. Diese benutzten es, daß er 
in der Vertheidigungsrede geäußert hatte, „er und alle Senatoren wä¬ 
ren des Verrathcs gerade eben so schuldig, wie der Angeklagte", um 
auch ihn zu verdächtigen. Theodorich entsetzte ihn aller seiner Würden, 
verwies ihn aus Rom, ließ ihn dann ins Gefängniß werfen und end¬ 
lich nach langer, harter Gefangenschaft hinrichten. Im Kerker suchte 
und fand Boethius Trost in der Beschäftigung mit der Philosophie, 
und er verfaßte daselbst fünf Bücher in Gesprächsform unter dem Ti¬ 
tel: „Trost der Philosophie", die noch bis auf unsere Tage erhalten 
sind. Er unterredet sich darin mit der Philosophie, und diese belehrt 
ihn in edler, würdiger Sprache darüber, wie wandelbar alles mensch¬ 
liche Glück sei, und wie die einzige Sicherheit nur in der Tugend könne 
gefunden werden. Zu dem höheren Tröste, den wahres Christenthnm 
allein zu geben vermag, vermochte er sich freilich nicht zu erheben. In 
sein trauriges Geschick wurde auch sein greiser Schwiegervater Sym- 
machus verwickelt, der über seine Hinrichtung gemurrt hatte; auch er 
mußte den Tod erleiden. Theodorich selbst erkannte bald sein Unrecht, 
und die tiefe Reue, die er darüber empfand, verbitterte ihm die letzten 
Tage seines Lebens. Er starb kurz nachher im Jahre 526. 
15. Lelisar. 
(Nach C. Wern icke, die Geschichte des Mittelalters.) 
Nur Theodorich's großer Geist hatte sein Reich kräftig zusam¬ 
men zu halten vermocht; nach seinem Tode ging es bald seinem Unter¬ 
gänge entgegen. Er hinterließ keinen Sohn, der nach ihm hätte die 
Herrschaft übernehmen können, sondern nur zwei Enkel, von denen der 
eine, Amalarich, der Sohn seiner Tochter Thcudegotha, die mit Alarich II. 
vermählt gewesen war, Spanien erhielt, während Italien dem Athala- 
rich, dem Sohne seiner dritten Tochter Amalasuntha, zufiel. Amala- 
suntha übernahm die Regierung für ihren unmündigen Sohn. Sie war 
eine hochgebildete Frau, und darum fühlte sie sich natürlich mehr zu 
den Römern hingezogen, als zu den Gothen und suchte jene auf alle
	        
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