29. Der Abfall der Niederlande.
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Belgien von der See nbgeschnitten werden konnte und strebte daher
nach dem Besitze des Hafens von Ostende, der dem Feinde das Ein¬
dringen in das Innere des fruchtbaren Flanderns eröffnete. Doch war
diese Belagerung eine der schwierigsten, weil der Gegner als Beherrscher
der See immer Gelegenheit hatte, die Stadt mit Lebensmitteln, Kriegs¬
bedarf und frischen Truppen zu versehen und im Nothfalle auch Eng¬
land als Bundesgenosse in der Nähe war. Sie machte erst Fortschritte,
als der tapfere und uneigennützige Marchese Ambrosio Spin ola aus
Genua sie leitete und die Festung mit aller Kraft von der Landseite
angriff, während man bisher nur versucht hatte, den Belagerten durch
Besetzung des Hafens die Zufuhr abzuschneiden. Aber auch die Be¬
lagerten bewiesen außerordentlichen Heldenmuth. Wenn die Belagerer
mit ungeheurer Anstrengung ein Bollwerk erobert hatten, sahen sie gleich
ein anderes dahinter aufgeworfen; eins unter andern hatten die Ver-
theidiger Neu-Troja genannt, als ob es wie diese Stadt zehn Jahre
aushalten sollte. Die Belagerung von Ostende war eine Kriegsschule,
worin aus allen Gegenden Europa's junge Krieger sich in der prak¬
tischen Kriegskunst übten. Erst nach dreijähriger Belagerung, welche
dem Erzherzoge 72,000 Mann gekostet haben soll, ergab sich die Stadt
(2. Septbr. 1604); sie war völlig in einen Schutthaufen verwandelt
und blieb eine Zeit lang unbewohnt.
Die Königin Elisabeth hatte den Ausgang dieser Belagerung nicht
erlebt. Ihr Nachfolger, Jakob I., schloß mit Spanien Frieden. So
waren die vereinigten Niederlande wieder, wie im I. 1585, auf ihre
eigenen Kräfte verwiesen, doch diese waren seitdem durch Handel, Schiff¬
fahrt und Eroberungen auch in anderen Welttheilen fast verdoppelt.
Denn da Philipp II. bald nach der Eroberung Portugals (s. Nro. 30)
den Niederländern den Markt von Lissabon verboten hatte, so waren
diese selbst nach Indien gegangen und hatten in dem kurzen Zeiträume
von 7 Jahren (1595—1602) ihren Handel über den Archipel der
Sunda-Jnseln, die Molukken, Ceylon und einen Theil von Hinterindien
ausgebreitet. Damit die einzelnen deßhalb entstandenen Gesellschaften
sich nicht durch nachtheilige Concurrenz schadeten, so wurde, vornehmlich
auf Oldenbarneveldt's Rath, die vereinigte ostindische Gesellschaft
gegründet, welche 1602 von den Generalstaaten (zunächst auf 20 I.)
das ausschließliche Privilegium erhielt, nach Ostindien zu handeln.
Die Erschöpfung der spanischen Finanzen nöthigtc den König Phi¬
lipp III., trotz der Vortheile, welche Spinola zuletzt errungen hatte,
mit der niederländischen Republik, wie mit einer unabhängigen Macht,
Friedensunterhandlungen anzuknüpfen. Aber die drei einflußreichsten
Männer der Republik, Prinz Moritz, sein Bruder Wilhelm Ludwig
und Oldenbarneveldt, waren einstimmig der Meinung, man könne nur
Frieden schließen, wenn Spanien die Unabhängigkeit der Niederlande
anerkenne. Spinola, der als Gesandter nach dem Haag kam und von
seinem Gegner Moritz in dessen Kutsche abgeholt wurde, war zu dieser
Erklärung bereit, wenn die Staaten den Handel nach Indien aufgeben
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