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64. Der spanische Erkfolgekneg.
dem Lichte des Verstandes weichen, die höheren Forderungen edler und
frommer Seelen werden verlacht und nur das Materielle, gewinn¬
bringende Reale, nur die Forderungen einer verfeinerten Sinnlichkeit
und einer kränklichen Empfindsamkeit beachtet und befördert.
64. Der spanische Erbfolgekrieg.
(Nach Leopold Ranke, französische Geschichte, und Heinr. v. Sybel, kleine
historische Schriften, bearbeitet vom Herausgeber.)
Am Schlüsse des 17. Jahrhunderts trat in dem südlichen Europa
die große Frage über die Zukunft der spanischen Monarchie, welche
die Politik schon seit einem halben Jahrhundert beschäftigt hatte,
(s. Nro. 00) in den Vordergrund, mit mannigfaltigen Aussichten einer
Umgestaltung der großen Staatsverhältnisse. Das Schicksal des r o -
manischen Europa hing von ihrer Entscheidung ab; durch die Be¬
ziehung zu Oesterreich griff sie in das germanische zurück; die
Wcltstellung der Seemächte ward davon wesentlich berührt. Das
wichtigste Moment aber lag in der Ausdehnung, welche die französische
Macht dabei gewinnen konnte, entweder nach dem Maße, welches Europa
für nothwendig hielt, oder nach dem Ideal der Selbstbestimmung und
Uebermacht, welches Ludwig XIV. von jeher vorgeschwebt hatte. Ab¬
wechselnd beschäftigten Unterhandlungen und Waffenthaten die Welt
und bestimmten die Ereignisse. Niemals waren die ersten lebhafter und
von größerer Bedeutung gewesen, als nach dem Frieden von Ryswik.
1. Die Unterhandlungen über die spanische Erbfolge.
Schon im Frühjahre 1698 sandte Ludwig XIV. einen militärischen
Diplomaten nach Spanien, den Marquis de Harcourt, der sich in dem
letzten Kriege durch die Vertheidigung von Luxemburg ausgezeichnet
hatte und mit dem dadurch erworbenen Ansehen alle die Eigenschaften
verband, die für eine schwierige Sendung erforderlich sind: den Ruf
der Uneigennützigkeit, welcher Vertrauen erweckt, durchdringenden Blick
und Festigkeit. Dieser suchte vor Allem die Besorgnisse der spanischen
Großen zu beseitigen, als solle Spanien durch die Anerkennung der
französischen Ansprüche ein von Vicekönigcn regiertes Nebenland von
Frankreich werden. Ludwig XIV. ließ daher erklären, Spanien müsse
vielmehr seinen Rang in der Welt, seine Selbständigkeit behaupten,
auch wenn es die französischen Erbansprüche anerkenne. Der Dauphin
werde seine Rechte an denjenigen von seinen beiden jüngern Söhnen
abtreten, welchen die Versammlung der Cortes selbst wählen würde : der
solle dann nach Spanien kommen, daselbst seine Erziehung vollenden,
die Grundsätze des Königreiches in sich aufnehmen. Man werde Vor-