Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

91. Die conftituirenbc National-Versammlung. 
591 
Die stärkste Macht im Reiche wurden durch Eifer und Disciplin, 
Einigkeit und Rührigkeit die politischen Clubs, zunächst der von Du- 
port orgauisirte bretonische Club, welcher nach der Uebersiedlung von 
Versailles in dem (aufgehobenen) Jacobinerkloster sein Versammlungs¬ 
local wählte und seitdem auch Nichtabgeordnete aufnahm, bald aber 
durch zahlreiche Clubs in den Provinzen sich über das ganze Reich ver¬ 
breitete und sich hauptsächlich auf die besitzlose Klasse (die Passivbürger) 
stützte. So hatte der mächtigste Verein des Reiches, der Jacobiner- 
club, eine Tendenz gegen die Sicherheit des Eigenthums und gegen 
die Anerkennung des persönlichen Rechtes. 
Während die ganze Nation mit hitzigen Wahlkämpfen zur Bildung 
der zahlreichen neuen Behörden beschäftigt war, schritten ihre Vertreter 
in Paris unaufhörlich fort in der Schwächung der Regierung, indem 
sie den Einfluß derselben in dem Gerichtswesen eben so gründlich ver¬ 
nichteten wie in der Verwaltung. Die neuen gerichtlichen Reformen 
waren an sich zweckmäßig: Criminalgerichte mit Geschworenen, Friedens¬ 
gerichte, Handelsgerichte, Familiengerichte, dazu die Oeffentlichkeit des 
Verfahrens, die Einführung der Vertheidiger, die Abschaffung der Tor¬ 
tur und der so vielfach mißbrauchten Verhaftsbriefe; aber die Scheu, 
der Regierung irgend einen Einfluß in die Hände zu geben, führte zu 
der Einrichtung, daß die Richter aus den gebildeten Juristen vom Volke 
auf sechs Jahre gewählt werden sollten. Diese Abhängigkeit der Richter 
von der herrschenden Partei stellte den ganzen Fortschritt der im Uebrigen 
wohlthätigen Justizreform in Frage. 
Die fortdauernde Finanznoth mahnte an den Verkauf der geistlichen 
Güter. Am 19. Dec. wurde ein solcher bis zum Betrage von 400 
Millionen decretirt und der Anfang sollte mit den Klostergütern gemacht 
werden, weil die Aufhebung der Klöster nicht allein den Ansichten der 
Zeit am meisten entsprach, sondern auch nicht nöthigte, die Kosten des 
Gottesdienstes aus Staatsmitteln zu bestreiten, wie dies der Fall war, 
wenn man die andern geistlichen Güter antastete. Damit wurde die 
sofortige Ausgabe von Papiergeld in gleichem Betrage in Verbindung 
gesetzt; diese Assignate sollten bei dem Einzelverkauf der Kirchengüter 
als Kaufgelder angenommen werden, bis dahin aber Münzcours haben. 
Der Verkauf der geistlichen Güter erzeugte Unruhen in den Provinzen, 
namentlich den südlichen, theils weil hier die Bevölkerung noch an der 
Kirche ihrer Väter festhielt, theils weil die Pächter fürchteten, von den 
neuen Eigenthümern ausgewiesen oder nach Speculanten Weise gedrückt 
zu werden. Die National-Versammlung aber glaubte durch Vollendung 
der kirchlichen Reform den Anhängern der alten Zustände jede Hoff¬ 
nung abschneiden zu müssen und decretirte die Civil-Verfassung 
des Clerus. Die Souverainetät der Activbürger wurde auf dem 
kirchlichen Gebiet, wie in Gericht und Verwaltung anerkannt; die Wähler 
jedes Districtes ernennen sich den Pfarrer, die Wähler des Departe¬ 
ments den Bischof, jeder Erwählte schwört der Nation, dem Könige 
und der Verfassung den Eid der Treue; der Papst verliert die Rechte
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.