Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

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Damals ward Theben von einem schrecklichen Ungeheuer 
heimgesucht-, es war die Sphinx, die oben wie eine schöne Jung¬ 
frau, unten wie eine Löwin anzusehen war und an den Schul¬ 
tern Flügel hatte. Dies Ungethüm durchzog das Land und 
gab den Leuten ein Räthscl aus, das hieß also: „Was ist das 
für ein Geschöpf, das eine Stimme hat, am Morgen auf vier 
Füßen, Mittags auf zweien und Abends auf drei Füßen einher¬ 
geht?" Das Orakel hatte aber geweissagt, daß Theben erst 
dann von dieser Geißel befreit werden würde, wenn Jemand 
das Rathsel gelöst hätte. Schon Viele hatten ihr Leben gewagt 
und noch immer hatte sich der rechte Mann nicht gefunden. Da 
erklärte die Königin Jokaste, sie wolle Hand und Krone dem 
geben, der das Rathsel lösen würde. 
Auch Oedipus hatte von der Roth des Landes gehört. 
Muthig begab er sich an den Berg, wo sich die Sphinx gerade 
aushielt, hörte das Räthsel und sein Scharfsinn fand sogleich 
die Lösung. „Das Räthsel," sagte er, „ist der Mensch; am 
Morgen des Lebens kriecht er auf vier Füßen, Mittags steht er 
auf zweien und am Abend nimmt er als dritten Fuß den Stab 
zu Hülfe." Da stürzte sich die Sphinx überwunden in den Ab¬ 
grund und lag zerschmettert am Boden. 
Der Sieger zog in Theben ein und empfing Jokafte's Hand 
und den Königsthron. Das Orakel war nun vollständig erfüllt, 
ohne daß Oedipus eine Ahnung davon hatte. Zwanzig Jahre 
führte er über Theben eine milde Herrschaft, als eine furchtbare 
Pest ausbrach und viele Tausende hinraffte. Da kein Mittel 
Helsen wollte, fragte man das Orakel um Rath und erhielt den 
Spruch, die Pest sei eine Strafe der Götter, weil des Laios 
Tod unbestraft geblieben sei, und werde nicht eher aufhörcn, bis 
der Mörder aufgefunden und bestraft sei. Oedipus stellte nun 
Nachforschungen an, und diese führten allmählich zur Entdeckung 
des ganzen Geheimnisses: er erfuhr seine Herkunft, seine Aus¬ 
setzung, und die ganze unheilvolle Verkettung der Umstände lag 
offen vor seinem Geiste da. Jokaste erhenkte sich aus Verzweif¬ 
lung, Oedipus stach sich mit eigener Hand die Augen aus. 
Er hatte zwei Söhne, Eteokles und Polinikcs. und 
zwei Töchter, Antigone und Ismene. Die beiden Söhne 
sprachen über den unglücklichen Vater die Verbannung aus, und 
so irrte der tiefgebeugte Greis, von Allen verlassen, nur geführ 
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