Full text: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

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die Straße herauf.“ Wendroth riß eilig den Hausrock von den 
Schultern und stürmte durch den Garten ins Haus. Als er eben 
die Türe öffnete, um auf die Gasse zu kommen, stand plötzlich der 
König vor ihm. „Aha, das ist mir lieb," begann Friedrich Wilhelm, 
„ich finde Ihn hier im Hause." „Majestät," sagte der bestürzte 
Wendroth, „ich war in meinem Garten; solchen Besuch hatte ich 
nicht vermutet." „Ja, ist meine Art so," lachte der König, „da 
geraten noch ganz andere Leute in Schrecken; fasse Er sich, Er 
soll mir eine Stunde halten mit Seinen Jungen." „Wie Majestät 
befehlen." „Der Schulbesuch ist doch gut?" „Sehr gut, Majestät." 
Der König war in die Sehulstube getreten; er musterte alles genau, 
Bänke, Tische, Geräte, Bücher; dann ließ er sich die Listen geben 
und sah die Schreibhefte nach. „Was bringt Er denn den Jungen 
bei?" — „Lesen, Schreiben, Rechnen, die Heilige Schrift, etliche 
Kenntnisse in der Geographie und Naturgeschichte." —- „Gut, weiter 
ist nichts nötig. Nun leg’ Er mal los." 
Es bedurfte nicht großer Mühe, die Jungen herbeizurufen. Bald 
füllte sich die Schulstube mit Schülern. Sie waren alle gekommen, 
wie sie gingen und standen, einige mit Schürzen, wenige mit Jacken 
angetan, — die meisten in Hemdärmeln. Alle sahen neugierig und 
eifrig auf den König, der sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte 
und lächelnd die wohlgenährten, meist strammen Burschen be¬ 
trachtete. Staunend gafften die Jungen die Uniform an, und leises 
Zittern überfiel sie denn doch. 
„Worin befehlen Majestät, daß ich prüfen soll?" fragte 
Wendroth. „Worin Er will, aber das Nützlichste zuerst." „Also 
dann? Biblische Geschichte?" „Gut," sagte der König. Die Prüfung 
begann; die Jungen bestanden gut. Ebenso ging das Lesen vor 
sich; die Schüler waren ordentlich auf dem Posten, und der König 
nickte beifällig. 
„Nun die Hauptsache fürs Leben," sagte der König, „Rechnen. 
Ich werde mal die Aufgabe erteilen." Die Tafeln waren schon in 
den Händen der Jungen, und diese standen, die Griffel bereit haltend, 
die Augen fest auf den König gerichtet, wie ein zum Angriff fertiges 
Bataillon. „Wenn ein Mensch," begann der König, „durchschnittlich 
jeden Tag vier Taler verdient, wieviel macht das am Ende des 
Jahres, also nach dreihundertfünfundsechzig Tagen? — Wie wollt 
ihr das finden, durch welche Rechenart?"
	        
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