Full text: Lehrbuch der Weltgeschichte oder umständlichere Erzählung der merkwürdigen Begebenheiten aus der allgemeinen Weltgeschichte

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Wurzellaute zu verfolgen und daraus zu erklären, wie das jetzt herrschende 
Wort sich bildete. Eben so mußten die Familienverhältnisse des Vaters, 
der Mutter, der Kinder unter allen Himmelsstrichen bleiben. — Ihr 
habt es vielleicht schon bemerkt, welchen Buchstaben ein kleines Kind 
zuerst ausspricht, oder vielmehr aushaucht. Es ist das A. Mit diesem 
A verbindet es dann Töne, wie ha, ba, aw, ab: gewöhnlich die 
ersten Kindertöne. Da diese Töne ihnen nicht vorgesprochen werden, 
da sie auch in ihrem Lebensalter auf solche flüchtige, vorübereilende 
Töne kaum zu achten die Kraft haben; so scheinen dies Laute der 
Natur zu sein, die man bei allen Kindern auf der Erde wiederfinden 
wird. — Da nun das einjährige Kind um keinen Menschen mehr ist, 
als um Mutter und Vater: so deutete Elternliebe diesen Ton auf sich 
selbst: und fast in allen Sprachen tönt noch, aller Veränderungen un¬ 
geachtet, in dem Namen des Vaters der Ton a, aw, wa. Im He¬ 
bräischen heißt der Vater Aw, im Griechischen Pater, im Lateinischen 
Pater, im Italienischen Padre, im Englischen fast wie im Deutschen 
Vater; daher auch Papa. — Ein anderer früherer Ton des Kindes 
ist E, Em, Am, Mem, Mam. Und im Hebräischen heißt die Mutter 
Em; im Griechischen Meter, im Lateinischen Mater, im Italienischen 
Madre, im Französischen Mer oder Mama, im Englischen Moder, 
und in unserer Kindersprache Memme. — Und unser Wort Sack 
findet sich fast unverändert mit gleicher Bedeutung in allen Sprachen. 
Bewundernswürdig aber ist es, daß alle diese verschiedenen Sprachen 
und alle die unzählbaren verschiedenen Wörter einer jeden derselben 
ihren Hauptbestandtheilen nach nur aus etwas mehr als 20 Grund¬ 
tönen, welche wir Buchstaben nennen*), zusammengesetzt sind. Be¬ 
trachter unsere Muttersprache, welche unendliche Mannigfaltigkeit in 
der Zusammensetzung dieser Töne zu Sylben und Wörtern sich findet. 
Doch nicht bloß Wörter enthält eine Sprache: sie weiß die Wörter 
auch aufs mannichsaltigste mit einander zu verbinden, und schmiegt sich 
oft durch die kleine Veränderung eines einzigen Buchstabens, durch die 
veränderte Wortstellung, jedem Gedanken, jeder Empfindung aufs ge¬ 
fügigste an. Oeffne die Thüre; hänge ich diesem Satze ein N an: 
Oeffne die Thüren, gleich ist der Gedanke geändert. — Kömmt er? 
fragt. Er kömmt, antwortet. — Der Hahn beißt die Henne; ein 
Buchstabe geändert: den Hahn beißt die Henne; und der ganze 
Gedanke ist geändert. — So genaue Bestimmungen des Gedankens 
giebt die Sprache in ihren kleinsten Zeichen. — Will ich einem andern 
oder mir selbst etwas erklären; will ich, was ich in mir denke, außer 
mir klar und deutlich darstellen: die Sprache giebt mir die bestimmtesten 
und klarsten Wörter und die passendsten Verbindungen der Wörter. — 
Und wer seine Sprache ganz versteht, wer ihren Wörterschatz inne hat, 
die mannichfaltigen Verbindungen der Wörter kennt, wer auf Wohl¬ 
klang zu achten gelernt hat: der kann als Redner (z. B. der Prediger, 
der Lehrer) durch die Sprache andere belehren; der kann Herzen rühren, 
*) Man leitet das Wort von den buchenen Stäbchen ab, in welche 
man zu Anfange der Buchdruckerei die Lettern oder Buchstaben schnitt. Wahr¬ 
scheinlich ist aber das Wort schon älter als die Buchdruckerei.
	        
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