Full text: Kleine Lebensbilder aus dem Alterthum

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würdigen Gerichtshof, in sein früheres Ansehen wieder ein und 
übergab ihm die Aufsicht über die Sitten der Bürger, wie die 
Untersuchung der schweren Verbrechen. Die neun Archonten be¬ 
hielt er bei; er gab der Volksversammlung bedeutende Rechte; 
sie entschied durch Abstimmen über die wichtigsten Staatsangele¬ 
genheiten, über Krieg und Frieden, über Abschließung von Bünd¬ 
nissen, über neue Gesetze oder Abschaffung früherer und hatte 
das Recht, die Beamten zu wählen. Neben derselben stand der 
Rath der Vierhundert, der die Gesetze vorher berieth, ehe sie der 
Volksversammlung vorgelegt wurden. Außerdem theilte er das 
Volk nach dem Grundbesitze und den Vermögensverhältnissen in 
vier Klassen, um danach die Leistungen für den Staat, nament¬ 
lich den Kriegsdienst zu bestimmen. Die Mitglieder der vierten 
und ärmsten Klaffe durften in der Volksversammlung mitstimmen, 
konnten aber keine Staatsämter bekleiden und dienten im Kriege 
nur als Leichtbewaffnete oder auf der Flotte. Als diese seine 
Maßregeln, so weise sie auch waren und den Verhältnissen ent¬ 
sprachen, dennoch nicht Alle befriedigten, begab Solon sich auf 
Reisen, nachdem er die Bürger hatte schwören lassen, seine Ge¬ 
setzgebung zehn Jahre zu halten. Auf diesen Reisen kam er auch 
zum Crösus, dem reichen Könige von Lydien in Kleinasien, der 
sich für den glücklichsten der Menschen hielt. Solon warnte ihn, 
dem Glücke zu trauen und legte ihm seine Ansicht vom wahren 
Glücke dar, indem er ihm vom Tellus erzählte, einem athenischen 
Bürger, der im blühenden Kreis von Kindern und Enkeln bei 
ausreichendem Einkommen gelebt habe und den schönen Tod für 
das Vaterland im Kampfe mit einem Nachbarvolke gestorben sei. 
Als sich Crösus darüber verwunderte und fragte, wer denn nach 
diesem der glücklichste sei, nannte er ihm zwei Jünglinge aus 
Argos, Cleobis und Biton. die sich durch Körperstürke auszeich¬ 
neten und einst bei Gelegenheit eines Festes, bei welchem ihre 
Mutter als Priesterin das Opfer darbringen mußte, dieselbe selbst 
zum Tempel fuhren, weil die Stunde des Opfers da war und 
die Zugthiere ausblieben. Da habe die Mutter, sagte er, die 
Göttin angefleht, ihren Söhnen das Veste zu geben, was den 
Menschen zu Theil werden könne; hierauf seien sie nach einge- 
nommenem Opfermahl eingeschlafen und nimmermehr erwacht.
	        
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