Full text: Die vorchristliche Zeit (Theil 1)

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6. 
Doch Macht hilft nicht immer zum Glücklichsein. Augustus, der dem ge¬ 
waltigen römischen Reiche vom Tajo bis zum Euphrat, von den Sandwüsten 
Afrikas bis zur Themse im nördlichen Britannien gebot, konnte sich keine 
Ruhe in seinem eigenen Hause gewinnen. Er hatte zu seiner dritten Gemahlin 
eine sehr böse Frau, die Livia, genommen. Diese sah es mit Eifersucht, daß 
Augustus eine Tochter aus voriger Ehe, die Julia, sehr lieb hatte und noch 
mehr erbittert ward sie, als der Gemahl der Julia, der treffliche Marcellus, 
von den Bürgern Roms allgemein geehrt und geliebt und ihren beiden Söh¬ 
nen, dem T i b e r i u s und D r u su s, vorgezogen wurde- Sie war so boshaft, 
daß sie dem Marcellus Gift beibringen ließ. Nun hoffte sie, ihren Liebling 
Tiberius, einen kühnen, aber heimtückischen Menschen, dem Herzen des 
Kaisers allmälig näher zu bringen. Aber Augustus, der den Tiberius nicht 
leiden konnte, erklärte nach einigen Jahren zwei Söhne seiner Tochter Julia 
für seine Nachfolger, zog auch den Drusus immer noch dem Tiberius vor. 
Dies erbitterte die Livia auf's-Aeußerste und da Giftmischerei gleichsam ihr 
Gewerbe war, so schaffte sie nicht blos ihres Mannes Enkel, sondern auch 
ihren eigenen Sohn Drusus aus dem Leben. Augustus war ganz untröstlich 
bei dem Tode seiner Enkel und hing nun mit doppelter Liebe an seiner Julia. 
Auch dies konnte die Grausame nicht ertragen, sie klagte die Julia eines aus¬ 
schweifenden Lebens an und da sie durch Zeugen überführt ward, mußte sie 
der Kaiser aus Rom verbannen. So brachte es die Livia dahin, daß Augustus 
den Tiberius zu seinem Nachfolger erklärte. Bald darauf, als Tiberius einen 
Kriegszug unternehmen wollte, begleitete ihn der alte Kaiser bis nach Neapel, 
wohnte hier den Schauspielen bei, die man zu seinem Geburtstage gab und 
war sehr heiter. Auf einer nahen Insel lebte der jüngste Sohn seiner geliebten 
Tochter Julia als unschuldig Verbannter. Seine Liebe zu dem Jünglinge 
erwachte; doch wagte der schwache Greis es nicht, der Livia seinen Wunsch 
zu äußern. Heimlich schiffte er hinüber und Großvater und Enkel sahen sich 
wieder. Doch die austauernde Gemahlin des Augustus erfuhr es; sie fürchtete 
von dieser Zusammenkunft alles Böse für sich und ihren Liebling. Plötzlich 
hieß es, Augustus sei krank; Keiner ward zu ihm gelassen, nur Livia war bei 
ihm und die ließ schnell ihren Sohn Tiberius rufen. Als er gekommen, ward 
bekannt gemacht, Augustus sei todt und Tiberius wurde zum Kaiser aus¬ 
gerufen. 
Vierundvierzig Jahre hatte Augustus das Weltreich mit Umsicht und 
Mäßigung regiert; kurz vor seinem Tode soll er die um sein Bette stehenden 
Freunde gefragt haben: „Habe ich meine Rolle gut gespielt? Nun,so klatschet 
Beifall, denn die Komödie ist zu Ende!" 
Rückblick auf die Kultur der Römer. 
In der ältesten Zeit war der Römer, wie jeder andere Natursohn, mit 
den Verfeinerungen des Lebens noch ganz unbekannt. Zuerst waren seine 
Häuser und Templ bloße Lehmhütten; dann bauete man von Stein, aber 
Marmor ward erst zu Sulla's Zeiten angewandt. Die Kleidung war eine
	        
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