Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

In seinem zwanzigsten Jahre starben ihm beide Eltern, und er mußte 
nun die Aufsicht über seine jüngere Schwester und über das Hauswesen über¬ 
nehmen. Aber die Sorge für irdische Dinge sagte seinem Sinnen und Trach¬ 
ten, das auf das Himmlische gerichtet war, nicht zu. Als er die Kirche besuchte, 
traf eS sich, daß die Stelle des Evangelii (Matth. XIX., 21) vorgelesen wurde, 
wo Jesus zu einem reichen Jüngling sagt: „Willst du vollkommen werden, so 
gehe hin, verkaufe was du hast und gieb's den Armen, so wirst du einen Schatz 
im Himmel haben; und dann komm und folge mir nach." In diesen Wor¬ 
ten glaubte Autonius einen göttlichen Wink zu erkennen; es dünkte ihm, daß 
sie nur seinetwegen verlesen worden wären, und kaum war er aus der Kirche 
zurückgekommen, so entsagte er seinen Gütern. Seine liegenden Gründe, 
309 fruchtbare Aecker, schenkte er den Einwohnern seines Dorfes; seine be¬ 
wegliche Habe aber verkaufte er, und das hierdurch gelöste Geld vertheilte er 
unter die Armen. Nur Weniges behielt er für seine Schwester zurück, und 
auch dieses nur auf kurze Zeit. Denn als er wieder in die Kirche gekommen 
war und daselbst die Worte des Evangelii (Matth. VI, 34): „Sorget nicht für 
den andern Morgen rc." gehört hatte, so vertheilte er alles Geld, was er noch 
hatte, und verschaffte seiner Schwester ein Unterkommen bei frommen Jungfrauen, 
ivo sie nachmals die Erzieherin vieler andern Jungfrauen und so gleichsam die Mut¬ 
ter der Nonnen wurde. Er selbst aber begab sich außerhalb seines Dorfes in die 
Einsamkeit. 
2. 
Es liegt im Charakter kraftvoller Menschen, den einmal ergriffenen Le¬ 
bensplan mit unverdrossenem Eifer zu verfolgen, und sich durch vorkommende 
Schwierigkeiten mehr anfeuern als abschrecken zu lassen. Auch Antonius be¬ 
wies dieß durch sein Beispiel. Fest entschlossen, nach Ascetenart zu leben, 
blieb er dieser Lebensart unverbrüchlich treu, und suchte es darin weiter als 
sein Vorgänger zu bringen. Zuerst hielt er sich an das Beispiel eines from¬ 
men Greises, der nicht weit von seinem Dorfe in d§r Einsamkeit lebte. Dann 
sllchte er auch die übrigen Asceten der Umgegend auf und bestrebte sich, die 
guten Eigenschaften derselben, als die Geduld des Einen, das eifrige Gebet 
des Andern, das häufige Fasten des Dritten in sich zu vereinigen. Dieß ge¬ 
lang ihm, und bald gewann er durch sein frommes Leben die Achtung Aller, 
die ihn kannten. Da suchte ihn, wie es heißt, der Teufel bald durch Rei¬ 
zungen zur Wollust, bald durch furchtbare Erscheinungen zu verführen; aber 
vergebens! Antonius blieb standhaft und vertrieb den Teufel durch Anrufung 
Gottes. Er behandelte seinen Körper mit größter Strenge, brachte oft ganze 
Nächte schlaflos hin, schlief auf der bloßen Erde, aß erst gegen Sonnenunter¬ 
gang, fastete oft drei bis vier Tage nacheinander, genoß nie Fleisch und Wein, 
sondern nur Brod Salz und Wasser, und verschmähete das Salben mit Oel 
als Sache der Weichlichkeit. 
Hiermit noch nicht zufrieden, verließ er seinen bisherigen Aufenthalt und 
begab sich zu den entlegenen Grabmälern, wo er in einem derselben einge- 
schlossen lebte. Aber auch hier hatte er, der Sage zufolge, vor dem 
Teufel keine Ruhe, sondern wurde von ihm auf alle Weise geplagt, ja oft mit 
Schlägen gemartert. Halbtodt wurde er eines Tages von einem Freunde, der 
ihm Brod bringen wollte, aus seiner Höhle getragen und in eine Kirche ge¬ 
bracht. Dort kam er wieder zu sich, und sogleich verlangte er, in sein Grab¬ 
gewölbe zurückgeführt zu werden. Sein Freund erfüllte dieß Verlangen.
	        
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