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fragte, ob derjenige König zu sein verdiene, welcher die Macht, oder der, wel¬
cher bloß den Namen habe? ZachariaS, der römische Papst, erwiederte, „wer
die Macht in Händen habe, müsse auch den Namen des Königs haben. Da
wurden dem letzten Merowinger, dem schwachen Childerich, die Locken abge¬
schnitten und Pipin bestieg dm Thron der Franken. Durch diese That hatte
fich der Papst den fränkischen König zur Dankbarkeit verpflichtet und diese
Schuld der Dankbarkeit haben die fränkischen Könige reichlich abgetragen, so
daß die Welt die Folgen davon spürt bis auf den heutigen Tag.
Als Aistulf nun nicht aufhörte, den Papst zu bedrängen, sah Stephan,
der Nachfolger des Zacharias, wohl ein, daß er fich auf die Hülfe des Kaisers
in Konstantinopel nicht mehr verlassen könnte; denn alle seine Klagen dahin
waren fruchtlos geblieben. Darum rief er den kräftigen und tapfern Pipin
zu Hülfe, und Pipin kam. Zuerst mahnte er den Longobardenkönig in Güre,
der Kirche zu geben, was der Kirche sei; als aber derselbe nicht darauf achtele,
drang Pipin als Schirmvogt der Kirche mit seinen Franken durch die Pässe
der Alpen in's Longobardenland und schloß den Aistulf in Pavia ein. Da
redete der Papst nochmals zum Frieden; Aistulf nahm ihn an und beschwur
mit allen Herzogen seines Volks, daß er die Oberherrschaft der Franken und
den neuen römischen Staat anerkennen wolle, dessen unfichtbarer Regent der
heil. Petrus, gleichwie der Papst der sichtbare sei. Dieß geschah im Jahr
754, in welchem Bonifacius bei den heidnischen Friesen den Märtyrertod fand.
Kaum war jedoch Pipin aus Italien heimgekehrt, so brach Aistulf den
Eid und zog im Grimm aus, um den neu erstandenen römischen Staat zu
zertrümmern. Bald stand er vor Rom und belagerte den Papst in dieser sei¬
ner Hauptstadt. ^Da schickte Stephanus abermals zu Pipin und dieser kam
wieder und bezwang die Longobarden. Aistulf mußte nun daS Erarchat —
d. i. alles Gebiet an den Küsten des adriatischen Meeres, welches einst der
Statthalter (Erarch) des morgenländischen Kaisers besessen — mit gar vielen
herrlichen Städten abtreten; dieß übergab Pipin dem heiligen Petrus und
seinem Stellvertreter, dem römischen Papste als ewiges Eigenthum. Das
war der Grund und Anfang des Kirchenstaats, und so wurde das geistliche
Oberhaupt der Christenheit nun auch ein weltlicher Herr.
'Bald darauf starb Aistulf; im nächsten Jahre wurde Desiderius Kö¬
nig der Longobarden.
2. Sage von dem eisernen Karl.
Im Frankenreiche war Karl der Große zur Regierung gelangt; dieser
hatte sich mit der Tochter des Desiderius vermählt, aber dieselbe auf dringende
Mahnungen des Papstes wieder verstoßen. Da nun auch Karl die Länder
seines Bruders Karlmann erworben hatte, dessen Wittwe und Söhne aber zu
Desiderius geflohen waren, wollte der Longobardenkönig den Papst zwingen,
daß er die Söhne Karlmanns zu Königen der Franken salben sollte. Da
sandte der Papst Hadrian eiligst Boten an den König Karl, und dieser ließ nicht
lange auf sich warten.
Als Karl mit seiner Heeresmacht gegen Pavia heranzog, wollte Deside¬
rius seinen Gegner gern selbst sehen. Zu ihm war einer von den Dienstman¬
nen Karls geflüchtet, der hieß Autkar. Autkar hatte den fränkischen König
erzürnt, und suchte nun Schutz bei Desiderius. Der König bestieg mit dem
Flüchtling den höchsten Thurm, von dem man das Feld weithin überblicken
Grube, Geschichtsbilder. II. n