42. Süd und Nord in unserer Umgangssprache
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so verfällt jeder Kartenzeichner völliger Willkür, wenn er
Grenzen zwischen Mittel- und Süddeutschland feststellen soll.
Doch gibt es immerhin noch Unterschiede zwischen dem Hoch¬
deutschen im südlichen und im mittleren Deutschland, wenn
auch nicht in der Schrift-, doch in der Verkehrssprache, und
nicht bloß in der Sprache, sondern auch in der Küche. Der
Norden salzt die Butter, oder wie man auch bisweilen im
Süden sagt, den Butter, der Süden dagegen ißt süße Butter
und bereitet die Speisen mit Schmalz (geschmolzene Butter),
ein Ding und ein Ausdruck, der in denjenigen Teilen Mittel¬
deutschlands, die wir kennen, in dieser Bedeutung völlig un¬
gewöhnlich ist. Nur in Süddeutschland legen die Hasen Eier,
freilich nur in der Fastenzeit bis Ostern. Aber wie das
Weihnachtsfest mit seinem Lichterbaum, eine altheidnische Feier
der Wintersonnenwende und ein Gegenstück zu den Berg¬
feuern der Johannisnächte, allmählich aus Mitteldeutschland
nach Süden vorgedrungen ist, so werden umgekehrt der Oster¬
hase und die Ostereier, die übrigens auch in Paris ihre Rolle
spielen, nach und nach den ganzen Norden heimsuchen. Beim
Weihnachtsfest scheiden sich nord- und süddeutsche Gebräuche
durch eine katholisierende Nüance der letzteren. Ein Weih¬
nachtsbaum in Süddeutschland, gleichviel ob er ein protestan¬
tisches oder katholisches Haus ziere, wäre kein rechter Christ¬
baum, er trüge denn unter den grünen Zweigen ein Engel-
wachsbild mit goldenen Flügeln, das Christkind (Christkindl).
Kleine Schattierungen in der Umgangssprache finden sich
unzählige, und wer von Nord nach Süd oder von Süd nach
Nord versetzt wird, hat manches zu vergessen und manches
zu erlernen. Hat mein Freund das zweite Stockwerk eines
.Hauses in Leipzig inne, so besuche ich ihn dort „über zwei
Treppen", in München „über zwei Stiegen". Besuche ich in
Leipzig meinen Freund über zwei Treppen, so muß ich an
seiner Vorhaustüre klingeln, in München dagegen schelle ich
an seiner Haustüre.
Was würde ein norddeutscher Familienvater sagen, wenn
ein elfjähriges Töchterchen, vom Buche ausschaltend, an ihn
die Frage richtete: Papa, was für ein Tier ist denn eigent¬
lich ein Sperling? Dieser absonderliche Fall hat sich wirk-
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