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umher, bald in Gallien, bald in Italien zur Plünderung und Verhee¬
rung einbrechend, und gegen Niederlagen wie gegen Eidschwüre gleich¬
gültig. Am Euphrat streiften die leichten Reiterschaaren der Perser
und erforderten eine beständige Achtsamkeit. Nördlich von der Donau
im heutigen Südrußland, weideten die Gothen ihre Heerden; von ihnen
zunächst sollte der Umsturz des Reichs ausgehen. Unter der Regierung
des Kaiser Valens, dem sein Bruder Valentinian das Morgenland ab¬
getreten hatte, kamen die Gothen, gedrängt von den Hunnen, einem an¬
geblich früher nordwärts von der chinesischen Mauer wohnhaften, all¬
mählich aber immer weiter nach Westen gezogenen Volke, an die römi¬
sche Grenze, und baten um Aufnahme, die man ihnen am rechten Do¬
nauufer zwar gewährte, aber zugleich mit solcher treulosen Habsucht an
ihnen verfuhr, daß sie zu den Waffen griffen und in einer Schlaci)t bei
Adrianopel (378) den Valens selbst mit einem großen Theil seines Heers
erschlugen. Erst seinem Nachfolger, Theodosius, der bei großen persön¬
lichen Eigenschaften doch hauptsächlich wegen seiner kirchlichen Recht-
gläubigkeit und Verfolgungssucht gegen Heiden und Andersgläubige den
Namen des Großen trägt, gelang es, ihrer, theils durch Unterhandlun¬
gen, theils durch das Schwerdt, Meister zu werden, und sie, geschwächt
und beruhigt, in das Innere des Reichs, theils nach Griechenland, theils
nach Kleinasien, zu versetzen. Dieses Mittel konnte nur auf kurze Zeit
helfen. Kaum hatte Theodosius, der wieder das ganze Reich vereinigt
hatte, durch die Theilung in den Orient und Oeeident (393) die bisher
zwar vorbereitete, doel) nie vollendete Trennung befestigt, so wandten
sich die Westgothen, unter ihrem jugendlichen Heldenkönig Alarich, gegen
den Oeeident, und als der sein ganzes Leben lang unmündige Honorius
den einzigen Feldherrn, den Rom damals besaß, Stilieo, einen Vanda¬
len von Herkunft, umgebracht hatte, zog Alarich vor der Residenz Ra¬
venna vorbei nach Rom, und, zweimal durch Geschenke abgewendet,
nahm er die Stadt der Cäsaren beim drittenmal mit Gewalt, und ließ
sie zum erstenmal seit dem Brennus abgezogen war, die Hand des Fein¬
des empfinden (23. Aug. 4io). Doch schon nach wenigen Tagen ver¬
ließ er sie, und starb selbst bald nachher mit dem Plan zur Gründung
eines eigenen Reiches beschäftigt, das auch sein Nachfolger Athaulph
(Adolf) an den Ufern des mittelländischen Meers, von Frankreich bis
nach Spanien hinein errichtete. Alarich hatte seinen Blick nach Afrika
gerichtet; aber ein anderes Volk, die Vandalen, ging (429), von einem
Statthalter zur Hülfe gerufen, aus Spanien, wo sie mit Sueven und
Alanen (seit 407) sich umhertrieben, hinüber, und der König Genserich
errichtete dort ein selbstständiges Reich. Waren so die disponibeln Kräfte
des römischen Reichs bedeutend vermindert, so drohte ihm durch die
Hunnen bald darauf der völlige Untergang. Ueber diese hatte Attila,
der Sohn Mundzuks, (um 445) die alleinige, vorher zersplitterte Herr¬
schaft erhalten, und hatte von dem morgenländischen Reiche zu Constan-