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verehrt und betrauert im achtundfünfzigsten Jahre ihres Lebens und im
neunundzwanzigsten ihrer Regierung. Die Kirche zu Rudolstadt verwahrt
ihre Gebeine. Schiller. 1788.
113. Aberglaube und Hexenwahn.
Unter dem Einfluß der Humanisten und Reformatoren hatten die
Wissenschaften im 16. Jahrhundert einen kräftigen Aufschwung genommen.
Das Bildungsbedürfnis war in weite Kreise des Volks gedrungen und führte
zur Gründung zahlreicher Schulen der verschiedensten Art. Eine gewaltige
Umwälzung brachte die neue Bildung auf dem Gebiete der Astronomie her—
vor, indem Nikolaus Kopernikus aus Thorn (1473 1543) nachwies, daß
die Sonne unbeweglich im Mittelpunkte der Welt steht und die Erde sich um
sie dreht. Mit dieser neuen Lehre hatte er die ganze mittelalterliche Welt⸗—
anschauung aus den Angeln gehoben, und er wurde deshalb von der katho⸗—
lischen Kirche nicht weniger als von den strenggläubigen Protestanten leiden—
schaftlich bekämpft. Die Wahrheit blieb jedoch Siegerin. Seine Entdeckung
wurde später von Johann Kepler aus Schwaben (15711630 vervollständigt.
So sehr auch die Wissenschaft sich gegen frühere Zeit erheben mochte,
so hatte sie doch noch mit überlieferten, unbewiesen angenommenen Voraus—
setzungen zu kämpfen; auch stand sie dem Volke noch allzu fremd gegenüber,
als daß sie schon vermocht hätte, einen furchtbaren Wahn zu zerstören, der
die Seelen umnachtete und von der Kirche beider Bekenntnisse eher begünstigt
als bekämpft wurde, nämlich den Aberglauben und Hexenwahn.
Zwei Grundsäulen hatte, wenigstens in den höheren Ständen, der Aber—
glaube jener Zeit, zwei Formen des Wahns, nämlich die Astrologie
Ider Sterndeuterei und die Alchimie oder Goldmacherkunst. In Deutsch⸗
land hatten beide schon vor Anfang des Reformationsjahrhunderts von
Spanien aus Eingang gefunden; aber erst in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts gewann ihre Herrschaft volle Macht über die Gemüter, um
sfie beinahe zwei Jahrhunderte lang festzuhalten. Die Astrologie zog aus
dem gegenseitigen Stande der Planeten und der Fixsterne willkürliche Fol—
gerungen auf künftige Ereignisse. Jede Stellung der Gestirne bestimmte
nach der Meinung der Sterndeuter den Charakter und die Schicksale des
unter ihr geborenen Menschen. Wenn die Vorhersagungen von Ereignissen
wie z. B. das Erscheinen einer neuen Sündflut oder die Ankunft des Anti—
christs nicht eintrafen, so schadete es den Sterndeutern nicht; denn Aus—⸗
reden gab es immer, und die Theologen halfen ihnen bereitwillig. Mehr
als durch die Vorhersagungen bestimmter Vorgänge wirkten die Sterndeuter,
indem sie vor Unternehmungen warnten oder zu ihnen rieten; sie stifteten
auf diese Weise Heiraten, verhinderten Kriege und übten auch auf andere
große Staatshandlungen bedeutenden Einfluß aus. Auch die Kometenfurcht
nährte die Sterndeuterei; hatte sich doch Karl V durch das Erscheinen eines
Kometen zur Abdankung bestimmen lassen.
Mit der Sterndeuterei ging die Alchimie Hand in Hand. Aber ihr
Zweck und Ziel lag nicht im Wahrsagen sondern in andern, fürs Leben