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faßte sie beim Haar und schlug ihr mit sausendem Schwerthieb das
Haupt herunter.
So hielt der alte Wate strenges Gericht. Er würde wohl in
seinem rasenden Zorne noch länger gehaust haben, aber vom Schlacht-
selde kamen jetzt Horand und Ortwin und Herwig mit den anderen
Helden, und Horand pflanzte Hildens Banner auf der höchsten Zinne
der Burg auf und gebot Frieden. Da band Herwig sein Schwert von
der Seite und schüttelte seine Panzerringe*), in die Schildeshöhlung. Noch
geschwärzt von Eisen und Staub, trat er an die geliebte Gudrun heran
und umfing sie mit Inbrunst. Lieberes hätte ihr nicht geschehen können,
als da sie der Mann umschloß, dem zuliebe sie so viele Jahre der
Qual und der Mißhandlung ertragen hatte. Sie weinte laut vor Freude,
aber Herwig sah sie mit leuchtendem Auge an und sprach: „Nun,will
ich deine Treue dir lohnen, solang ich lebe, Friede und Glück müssen
alles Leid vergüten, das du um mich getragen hast." Dann begrüßte
sie auch den verwundeten Bruder. „Gelt, sprach Ortwin scherzend,
gestern hätten wir mit listigem Diebstahl nur zwei Wäscherinnen ent¬
führt, heute haben wir in ehrlicher Fehde eine Königin mit allen ihren
Frauen gewonnen. Das ist doch der Blutstropfen wert, die der tapfere
Hartmut als Lösegeld gefordert hat?" Auch der Sänger Horand, dessen
schönes Antlitz bleicher als sonst war, trat zu Gudrun und küßte sie
auf den blühenden Mund.
Nachdem auch die anderen Helden von Friesenland Gudrun und
ihre Frauen begrüßt hatten, hielten die Sieger Rat, was aus der er¬
oberten Burg und dem Lande werden sollte. Der alte Wate, dessen Zorn
noch immer nicht besänftigt war, drängte, man solle das Schloß in
Brand stecken und austilgen. Aber dagegen erhob sich eifrig der kluge
und besonnene Frute: „Laßt uns, sprach er, die Spuren des furchtbaren
Blutbades vertilgen, daß es den Frauen hier wohnlich sei. Dann be¬
fehlen wir sie der Obhut Horands und brechen inzwischen die übrigen
Burgen Hartmuts."
Der Rat gefiel den andern, und nachdem sie eine schnellsegelnde
Barke nach Friesenland vorausgeschickt hatten, um Hilden die Sieges¬
botschaft zu melden, verweilten sie noch einen Tag in der Normannen¬
burg, um nach Frutens Weisung die Spuren des Kriegsgreuels zu ver¬
löschen. Die vielen Toten wurden in allen Ehren begraben, und große
Hügel wurden ihnen aufgeschüttet. Horand übernahm die Obhut der
Frauen und der Geiseln; Wate aber zog mit der Mehrzahl der Helden
aus, um siegreich Hildens Zeichen durch alle Lande Hartmuts zu tragen.
Bald war die Unterwerfung des ganzen Reiches gelungen. Sie
*) Der Panzer bestand aus Ringen oder Schrlppen von Metall, welche auf
ein Ledergewand geheftet waren.
Lesebuch für Realschulen. IV.
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