fullscreen: Die Heimat (3 = 4. Schuljahr, [Schülerband])

— 7 
Einst war der Vater zur Messe gereist und hatte die Mädchen 
gefragt, was er ihnen mitbringen solle. Da hatte die eine schöͤne 
Kleider, die andere Perlen und Edelsteine gewünscht, Aschenbrödel 
aber nur ein schönes Haselreis. Diese Wünsche hatte der Vater auch 
erfüllt. Die Schwestern putzten und schmückten sich, Aschenbrödel aber 
pflanzte das Reis auf das Grab ihrer Mutter und begoß es alle 
Tage mit ihren Thränen. Da wuchs das Reis sehr schnell und 
wurde ein schönes Bäumlein, und wenn Aschenbrödel auf dem Grabe 
ihrer Mutter weinte, so kam allemal ein Vöglein geflogen, das sah 
sie mitleidig an. 
Da begab sich's, daß der König ein Fest anstellte und dazu alle 
Jungfrauen des Landes einladen ließ, denn sein Sohn sollte sich aus 
ihnen eine Braut wählen. Und da schmückten sich die Schwestern 
überaus reizend, und Aschenbrödel mußte ihnen die Haare kämmen 
und schöne Zöpfe flechten, und daß sie auch gern zum Tanze mit— 
gehen mochte, das fiel gar niemand ein. Als sie es endlich wagte, 
um Erlaubnis zu bitten, ward sie schrecklich ausgelacht, daß sie fich 
einfallen ließe, zum Tanze gehen zu wollen, da sie doch kein schönes 
Kleid habe und nicht einmal Schuhe. Die böse Stiefmutter nahm 
geschwind eine Schüssel voll Linsen, warf diese in die Asche und 
sagte: „So, so, Aschenbrödel, mache dir etwas zu thun, lies erst 
die Linsen; dann sollst du mitgehen, mußt aber in zwei Stunden 
fertig sein.“ 
Das arme Kind ging in den Garten und rief das Vöglein auf 
ihrem Haselnußbaum, und auch die Täubchen, daß sie alle lesen 
sollten, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, und 
bald wimmelte es von Tauben und anderen Vögeln; da währte es 
gar nicht lange, so war die Schüssel voll Linsen ganz rein Zelesen. 
Aber wie das gute Mädchen voller Freude die Linsen brachte, ärgerte 
sich die Stiefmutter und schüttete jeßt zwei Schüsseln voll Linsen in 
die Asche, und die sollte es nun auch noch in zwei Stunden lesen. 
Aschenbrödel weinte, rief aber die Vöglein wieder, und bald war 
auch diese Arbeit gethan. Es wurde ihr aber dennoch nicht Wort 
gehalten, sondern sie wurde ausgelacht, denn sie habe ja keine Kleider 
Schuhe, und wie sie sei, könne sie sich nimmer sehen lassen, auch 
müsse der Königssohn und jeder andere einen schlechten Geschmack 
haben, der mit ihr tanze, und da gingen jene Stolzen fort und ließen 
Aschenbrödel tief betrübt zurück. Sie ging zu ihrem Bämnchen und 
weinte bitterlich. Da kam das Vöglein geflogen und rief: 
„Mein liebes Kind, o sage mir, 
was du wünschest, schenk ich dir!“ 
Da rief Aschenbrödel, indem sie das Bäumchen anfaßte: 
„O, liebes Bäumchen, rüttle dich! 
O, liebes Bäumchen, schüttle dich! 
Wirf schöne Kleider über mich!“ 
Jütting und Weber. Die Heimat. 
2
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.