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Besitz und seine Stellung sei, sinkt völlig in seinem Werte, wenn 
eines fehlt, die Treue. 
Nun kann sich solche Treue aus allerlei Weise bewähren. Zu¬ 
nächst gilt es, daß der Mensch sich selbst treu bleibe, was er für 
heilig, recht und gut erkannt hat und davon sich durch keinerlei 
Rücksicht abbringen lasse. Tut er das, so ist er ein gebrochener 
Mensch, und es laufen leider Gottes viele solcher mit einem gebrann¬ 
ten Gewissen in der Welt herum. Wie mancher ist sich selbst un¬ 
treu geworden, seiner ganzen Vergangenheit, wenn ihm ein äußerer 
Vorteil gewinkt hat, eine Ehre oder ein Besitz. Da hieß es: Fahr 
hin Gewissen, Überzeugung und Ehre! Solch Anerbieten ist doch 
immer ein Galgen, an den sich ein Mensch hängt. Aber was nützt 
der Galgen, wenn er von Gold ist und man daran ausgeknüpft 
wird! So sagte einst ein deutscher Fürst, den man zum Eidbruch 
durch allerlei Vorteile bewegen wollte: „Nimmermehr! Ehr' und 
Eid gilt bei uns mehr denn Land und Leut'." 
Im Hause ist die Pflegstätte der Kindestreue. Dort soll 
ins junge Herz hinein die Treue als ein Samenkorn gelegt und 
wie in die junge Birke der Name der Treue eingeschnitten werden, 
daß sie mit dem Baume wachse. Mag es einer in der Welt noch 
so weit bringen, hat er das Gebot verletzt: „Du sollst deinen Vater 
und deine Mutter ehren!" so hat er doch den Schwamm in den 
Balken seines Hauses und den nagenden Wurm im Gewissen. Die 
Kindestreue schließt die Pietät, die Dankbarkeit, den willigen Gehor¬ 
sam und das treue Gedenken an Vaterhaus und Mutterliebe in sich. 
Ein treues Kind trügt die Kohlen, an denen es sich am väterlichen 
Herde einst erwärmt hat, auch in sein eigenes Haus und pflanzt 
so den Familiengeist und Familiensinn fort. Ein Mensch ohne Ver¬ 
gangenheit wird zumeist auch ein Mensch ohne Zukunft sein. Unsere 
deutschen Vorfahren erzählten von einem Herzog, der seinen Söhnen 
das Herzogtum überließ. Ein Vormund sollte entscheiden, wer von 
den dreien Herzog sein sollte. Da ließ er den toten Herzog aus 
einen Sessel setzen, gab jedem der Söhne einen Bogen und einen 
Pfeil in die Hand und forderte sie aus, nach dem Vater zu schießen. 
Wer des Vaters Herz träfe, der sollte Herzog sein. Der erste schoß 
und traf des Herzogs Haupt, der zweite seinen Arm; der dritte 
aber zerbrach den Bogen und den Pfeil und sprach: „Nach meines 
Vaters Herzen schieße ich nicht!" Da sagte der Vormund: „Du 
sollst Herzog sein, Du hast des Vaters Herz getroffen!" Das ist 
Treue auch über das Grab hinaus. 
Es gibt sodann eine Treue in der Freundschaft. Was wäre 
auch ein Freund ohne Treue und ohne Verlaß! Wohl dem, dem
	        
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