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F. 4. Der kleinere deutsche Theil.
a ) G e s ch i ch t l i ch c S.
In frühen Jahrhunderten, ehe Lithauen am Niemen, und Polen an Weich¬
sel und Bug ein gemeinsames Reich ausmachten, erstreckte sich die Sprache der
Lithauer auch über den größten Theil des untern Weichselgebietes; das Volk
daselbst bestand aber als ein eignes für sich und hieß Preußen oder Prutener.
Bis ins 13. Jahrhundert nach Cbr. Geb. behielt es seine Unabhängigkeit und
seine eigne heidnische Religion. Die christlichen Priester der Deutschen aber streb¬
ten, das Christenthum unter sie zu bringen; und deutsche Fürsten und Ritter
wünschten überdem ihr Land zu erobern. Dies geschah, sobald die übrigen wen¬
dischen Völker zwischen der Elbe und der Weichselmündung bezwungen waren.
Eine seltsame Brüderschaft von Edelleuten, halb durch mönchische halb durch rit¬
terliche Gelübde zum so genannten Deutschen Orden verbunden, stellte sich
an die Spitze der Unternehmung und bekämpfte die Preußen. Die göttliche Re¬
ligion Jesu, die nach dem ausdrücklichen Gebot unsers Erlösers nur durch Pre¬
digt und Belehrung soll ausgebreitet werden, beschlossen sie unbarmherzig mit
dem Schwerte herschend zu machen. Die Preußen aber wehrten sich tapfer und
verfochten ihre Unabhängigkeit und ihren Götterdienst gegen so ungerechte und so
unchristliche Angriffe. Sie begriffen die neue Religion nicht, die ihnen von un¬
wissenden Priestern und räuberischen Kriegern angeboten wurde; das aber begrif¬
fen sie, daß man aus ihnen Knechte machen wollte; denn wo ein Stück Land
genommen ward, da verloren die Bewohner den freien Besitz, ihre eignen Becker,
Wiesen und Wälder. Ein halbes Jahrhundert dauerte der Kampf. Mancher
Preußenheld zeichnete sich aus, wie unter den Deutschen ehemals Hermann gegen
die Römer und Wittekind gegen die Franken. Vor allen preist man die Helden¬
thaten des Herkus Monte. Endlich als weit über die Hälfte des Volkes
erschlagen, der größte Theil des Landes verwüstet und vom Ordensmeister milde
Behandlung zugesichert war, unterwarfen sie sich der Uibermacht im Jahr 1283.
DieS diente nachmals zum Heil. In verwüstete und noch unbebaute Striche
rief man deutsche Anpsianzer, nicht als Leibeigne, sondern als freie Bauern.
Auch Städte begann man zu bauen und verlieh deutschen Handwerkern und
Kaufleuten, die sich darin niederließen, gute bürgerliche Rechte, wie man sie in
Städten Deutschlands besaß. Da blüheten Thorn, Culm, Danzig, Marienburg,
Elbing, Königsberg u. a. auf; durch das ganze Land hörte man deutsch reden
und die Sprache der Eingebornen erstarb allmählig. So ist das Preußenland
ein deutsches geworden.
Es fügte sich auch, daß im 16. Jahrhundert der Brandenburger Markgraf
Albrecht zum .Hochmeister gewählt und zum erblichen Herzog von Preußen
gemacht wurde. Da hörte die Regierung des Ordens auf; und 1701 ver¬
wandelte der Brandenburger Churfürst Friedrich das Herzogthum Preußen in
ein Königreich.