Object: Deutsche Sagen und Geschichten aus dem Mittelalter (Teil 2)

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4. Einstmals kamen die beiden Söhne des Königs 
zu Wieland und baten ihn, für sie Pfeile zu verfertigen. 
„Nicht heute und auch nicht morgen,“ entgegnete Wie¬ 
land; wollt ihr aber, dafs ich eure Bitte erfülle, so 
kehret wieder, wenn Schnee den Boden deckt und naht 
euch rückwärts meiner Schmiede.“ Wie nun der erste 
Schnee gefallen war, da thaten die Knaben, wie ihnen 
Wieland geheifsen, und gingen rückwärts der Schmiede 
zu. Kaum aber hatten sie die Schwelle überschritten,, 
so erschlug sie Wieland und warf ihre Leichen in eine 
tiefe Grube. Die Knaben wurden im Palaste bald ver- 
mifst; man suchte sie überall, doch nirgend wurden sie 
gefunden. Auch bei Wieland fragten des Königs Boten 
an. Dieser sprach: „Sie waren in der Schmiede, sich 
Pfeile zu holen; da werden sie wohl auf die Jagd ge¬ 
gangen sein.“ Die Fufsspuren vor der Schmiede schienen 
seine Worte zu bestätigen; darum fiel keinerlei Verdacht 
auf ihn. Als aber niemand mehr nach den Knaben 
suchte, nahm Wieland die Leichen wieder aus der Grube 
heraus, löste das Fleisch von den Knochen und machte 
aus den Schädeln zwei mit Gold und Silber eingefafste 
Trinkbecher, aus den ändern Knochen schuf er andere 
kostbare Geräte und schickte dann alles an den König, 
der sich der schönen Arbeit arglos freute. So hatte 
sich Wieland gerächt; aber nun sann er darauf, wie er 
sich aus der Gewalt des Königs befreien könnte. 
5. Er hatte in seiner Heimat noch einen jüngeren 
Bruder, namens Eigel, der als Bogenschütze weit 
und breit berühmt war. Diesem sandte er Boten, dafs 
er zu ihm kommen und ihm zu seiner Befreiung ver¬ 
helfen möge. So kam Eigel an den Hof des Königs 
Nidung, und damit niemand Verdacht schöpfe, trat er
	        
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