Full text: Lesebuch für die Oberklassen der katholischen Volksschulen Niedersachsens

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unc die Leiter, die er mit seinem Tau zusammenknüpft. Der Knoten 
ist geschlungen; die Zuschauer atmen auf und rühmen auf allen 
Straben den kühnen Mann und sein Tun hoch oben zwischen Himmel 
und Erde. Schieferdecker spielen die Kinder der Stadt eine ganze 
Woche lang. 
Aber der kühne Mann beginnt nun erst sein Werk. Er holt ein 
anderes Tau herauf und legt es als drebbaren Ring unter dem Turm-— 
knopf um die Stange. Daran befestigt er den Flaschenzug mit drei 
Kloben, an den Flaschenzug die Ringe seines Fahrzeuges. Ein Sitz 
brett mit zwei Ausschnitten für die herabhängenden Beine, hinten 
eine niedrige, gekrümmte Lehne, hüben und drüben Schiefer-, Nagel- 
und Werkzeugkasten, 2wischen den Ausschnitten vorn das Haueisen, 
ein kleiner Ambob, darauf er mit dem Deckhammer die Schiefer zu— 
richtet, wie er sie eben braucht: dies Gerãt, von vier starken Tauen 
gehalten, die sich oberhalb in zwei Ringe für den Haken des Flaschen- 
zuges vereinigen, — das ist der Hängestubl, wie er es nennt, das 
leichte Schiff, mit dem er hoch in der Luft das Turmdach umsegelt. 
Mittels des Flaschenzuges zieht er sich mit leichter Mühe hinauf und 
läbt sich herab, so hoch und tief er mag; der Ring oben dreht sich 
mit Flaschenzug und Hängestuhl, nach welcher Seite er will, um den 
Turm. Ein leichter Fubstob gegen die Dachfläche setzt das Ganze 
in Schwung, den er einhalten kann, wo es ihm gefällt. Bald bleibt 
kein Menschenkind unten stehen und sieht hinauf; der Schieferdecker 
und sein Fahrzeug sind nichts Neues mehr. Die Kinder greifen 
wieder zu ihren alten Spielen. Die Dohlen gewöhnen sich an ihn; sie 
sehen ihn für einen Vogel an, wie sie sind, nur gröber, aber friedlich 
wie sie, und die Wolken hoch am Himmel haben sich nie um ihn ge— 
kümmert. Die Damen neiden ihm die Aussicht. Wer konnte so 
frei über die grüne Ebene hinsehen, und wie Berge hinter Bergen 
hervorwachsen erst grün, dann immer blauer, bis wo der Himmel, 
noch blauer, sich auf die letzten stützt! Aber er kümmert sich so 
wenig um die Berge, wie die Wolken sich um ihn. Tag für Tag 
hantiert er mit Flickeisen und Klaue, Tag für Tag hämmert er 
Schiefer zurecht und Nãägel ein, bis er fertig ist mit Hämmern und 
Nageln. Eines Tages sind Mann, Fahrzeug, Leiter und Rüstung 
verschwunden. Das Entfernen der Leiter ist so gefährlich wie ihre 
Befestigung; aber es faltet niemand unten die Hãnde, kein Mund 
rühmt des Mannes Tat zwischen Himmel und Erde. Die Krähen 
wundern sich eine ganze Woche lang; dann ist es, als hätten sie vor 
Dürken, Lesebuch für Oberklassen.
	        
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