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Kap. 9. Von der Religion.
Persönlichkeit Gottes nicht zu vereinen gewußt; eine solche
Vorstellung tritt kaum als eine dunkle Ahnung oder, richti¬
ger, kaum als ein leiser Nachklang hervor. — Zwar finden
sich jm Brahmanenthume, im Buddhaismus eben so leise An¬
klänge von der Unterscheidung des Endlichen unb Unendlichen,
aber diese Idee vermag sich nicht als Gegensatz zu gestalten,
weil die verwirrende Mannigfaltigkeit der Natur das religiöse
Selbstbewußtseyn in dem Weltbewußtseyn gefangen halt. Hier,
wie in jeglicher Form des Heidenthums, regt sich zwar noch
die ewige Wahrheit, — wie man denn überhaupt nicht leug¬
nen kann, daß jede heidnische Religion das Element der Wahr¬
heit verhüllt, aber eben darum auch enthält, — allein sie
vermag nicht ins Bewußtseyn zu treten; der heidnische Mensch
ringt nach der Wahrheit aus Naturnothweudigkeit, aus der
wesentlichsten Bedingung seiner eigensten Individualität, aber
er weiß dennoch nicht, wo sie zu suchen, wie sie zu gewinnen
ist, weil er von ihr überhaupt nicht weiß. —
Das Iudenthum war, der göttlichen Weltordnung ge¬
mäß, dazu bestimmt, die Idee der Wahrheit in der Mensch¬
heit von Neuem zu beleben, sie lebendig zu erhalten. Gott
gab seinem dazu auserwählten Volke, in dem alten Testa¬
mente, Zeugniß von der ewigen Wahrheit.^ Mit der Ver¬
pflichtung, Ihn zu suchen und anzubeten, und alle anderen
Götter von sich abzuthun, wird die Verheißung des Heils
gegeben, welches die ganze Menschheit umfangen und vom
Fluche der Sünde erlösen soll. Dies ist die Grund-Idee,
welche dem sogenannten „alten Bunde" seine hohe Bedeu¬
tung für das Schicksal der Menschheit verleiht. — Das Volk
Gottes erscheint somit als Träger und Pfleger der ewigen
Wahrheit, der Wiedererhebung in einer Periode des Alles
überwuchernden Irrthums und Verfalles. Durch die Ver¬
heißung wird es zugleich zum Volke der Zukunft, in welcher
das Heil unb die Erlösung aufblühen und endlich die ganze
Menschheit erquicken und beglücken soll.
Diese Tendenz des Iudenthums, den über alle Natur
erhabenen Gott zu suchen, und die Abhängigkeit von demsel¬
ben durch alleinige Anbetung des Ewigen und Einigen zu