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Das Zeitalter des Absolutismus
fremde Bildung frei geworden von den kirchlich-lateinischen Fesseln, weist
er seinem Volke die Wege in eine neue Zeit. *)
Ein „vollständig französierter" Mann ist auch Christian Thomas ins
(1655—1728; Professor in Leipzig, dann in Halle). Sein Ziel ist, „daß
man sich auf honnetete, Gelehrsamkeit, beaute d'esprit, un bon goüt und
galanterie befleißige; denn wenn man diese Stücke alle zusammensetzt,
wird endlich ein parfait homme Säge oder ein vollkommen weiser Mann
daraus entstehen, den man in der Welt zu klugen und wichtigen Dingen
brauchen kann". Aber auch hier ist die französische Bildung nur ein Mittel
zum Zweck; sie soll den Deutschen stark machen zur Erreichung neuer
Ziele. So tritt denn Thomasius mutig ein für den Gebrauch der deutschen
Sprache in den akademischen Vorlesungen, für eine freie weltliche Bildung,
für Gewissensfreiheit, gegen „Unvernunft", Aberglauben, Ketzerrichterei.
So finden wir auch hier eine „galante", weltmännische und weltliche
Bildung, die aber aus sich heraus einem neuen Ziel zustrebt und in die
Aufklärung hineinmündet.
c) Nur darf über alledem nicht vergessen werden, was eben früher
allzusehr in den Vordergrund gedrängt wurde, daß diese Verfeinerung und
Verweltlichung der Bildung auch Leichtlebigkeit und Unsittlichkeit mit sich
führte. Nützlichkeitsgesinnung kennt kein höheres Ideal, denn weiter kommen
in der Welt, „Karriere" machen. So nimmt eine böse Charakterlosig-
keit und feile Kriecherei überhand, beginnt ein Rennen und Laufen nach
Rang und Titeln. Der Bäcker will gern „Hofbäcker", der Adel „hoch-
edelgeboren", der Bürger „edel und tieft, wohledel und gestreng" heißen,
wie einst der Ritter. „Der Titel Erbar und Ehrsam seyn ist nunmehr
ausf die Bauersleute gekommen!" Die züchtige und kleidsame Frauentracht
des 16. Jahrhunderts macht einer geschmacklosen und anstößigen Platz,
so daß Lauremberg spottet:
*) Es sei kurz auf L.' philosophische Gedanken hingewiesen: „Die englisch-fran-
zösische Philosophie war mathematisch-mectianisch; sie war zum Teil materialistisch. Ihr
gegenüber machte der Deutsche, der Freund Speners, der große Mathematiker und
mathematische Physiker, das innere Leben, das Unkörperliche geltend. Dem Stoffe
setzte er die Kraft entgegen. Der Franzose Gassendi hatte mit Erfolg die antike Lehre
von den Atomen erneuen; Leibniz verwandelte die Atome in Seelen und gelangte so
zu seinen Monaden, deren Zahl unendlich und die alle untereinander verschieden, jede
ein Spiegel der Welt, alle in unaufhörlicher Veränderung begriffen, alle durch ihre
gemeinsame Ursache, den göttlichen Willen, harmonisch bestimmt sind. Durch die An-
nähme zahlloser seelenartiger Individuen erklärt sich Leibniz die Welt. Seele ist ihm
das Wesen der Dinge. — Die Seele des Menschen aber ist nach ihm nicht bloß ein
Spiegel der Welt, sondern auch ein Ebenbild Gottes und zur Gemeinschaft mit ihm
bestimmt: ausdrücklich eignet er sich die Lehre der Mystik von der Hingebung an
Gott und vou der Gegenwart Gottes im Gemüte an. Liebe zu Gott ist ihm Religion;
aus der Liebe entspringt Sittlichkeit und Recht, und Liebe ist wichtiger als der Glaube."