4
Das europäische Rußland.
halbe Thiere, und ihre kleinen, elenden Gestalten zeigen die
Einwirkung der Kälte.
2. Der kalte Landstrich geht vom Polarkreise südlich
herab bis zum 57sten Grade der Breite, d. i. einer Linie, die
wir über die Städte Riga, Twer und Nischnei-Nowgorod ziehen.
Hier ist meist flaches Land, in dem Wälder, Moräste und Seen
abwechseln. Der Boden ist mager, dürre, und der Getreidebau
sehr unsicher, weil die oft schnell eintretende Kälte das Reifen
der Aehren hindert.
3. Der gemäßigte Landstrich bietet eine weite, wellen¬
förmige Ebene dar,' bis zum Ural hin. Er reicht von jener
Linie südlich bis zum ZOsten Grad, d. i. bis zu einer Linie, die
wir von Lemberg in Gallizien über Charkow von Westen nach
Osten ziehen. Dies ist der gesegnetste Landstrich, ungemein reich
an Wiesen und Aeckern, und trefflich angebaut.
4. Der warme Landstrich liegt südlich vom 50sten
Grade. Er hat nur einen kürzen, milden Winter, und einen
sehr warmen, oft heißen Sommer. So fruchtbar ist er nicht
als der gemäßigte wegen der großen Steppen; aber es gedeihen
hin dagegen die edelsten Baumfrüchte und herrlicher Wein.
Die Steppen, die sich theils hier, theils im Norden am
weißen und Eismeere finden, sind weite, ausgedehnte Ebenen,
und sind theils voll Sümpfe und Moräste, theils wegen ihrer
trocknen, sandigen oder salzigen Beschaffenheit ganz unfähig zum
Anbau. Es ist, als wenn man ein Meer vor sich sähe, so ganz
eben sind diese Einöden, und treibt die brennende Hitze die im
Boden liegenden Salztheilchen hervor, so glaubt man eine be¬
schneite Wüste vor sich zu haben. Aber nicht alle Steppen sind
so beschaffen. Es giebt deren auch, die über und über mit herr¬
lichem Grase bedeckt sind und den Heerden die trefflichste Nah¬
rung geben. Dies sind die Strecken, wo die Kofacken ihre
Heerden weiden. Außerordentlich fruchtbar ist die Halbinsel
Taurien, die sich südlich ins schwarze Meer senkt. Sie ist
mit den Reizen des Südens geschmückt, voll Abwechselung, und
könnte leicht in den reizendsten Garten verwandelt werden.
„Wenn in einer Gegend dieses ungeheuren Reiches schon
der wärmste Frühling beginnt, herrscht in der andern noch die
erstarrendste Kälte. Hier zieht das durstige Kamcel durch trok-
kene, brennende Wüsten; dort gleitet das flüchtige Rennthier
über den ellenhohen Schnee, unter welchem es sein dürftiges
Futter sindet. Hier verschläft der Samojede in seiner Erdhütte
die kurzen, nebeligen Tage, wenn dort sein Mitbürger, der Ko-
sack, unter einem ewig heitern Himmel seine Heerde weidet."
Rußland ist mehr eben als gebirgig. Die Hauptgebirge
sind: 1. der Ural, der die Gränze zwischen Europa und Asien