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Helvetica oder die Schweiz. 
Ewige konnte diese Berge gründen, die so vielen uns unbekannt 
ten Jahrtausenden getrotzt haben, und die vielleicht nicht eher, als 
mit dem Ende der Zeiten, oder der Umformung aller vergängli; 
chen Dinge aufhören werden? Als wir die Jungfrau zuerst cm; 
sahen, war noch fast ihr ganzer Körper, so weit er nur mit dem 
zum Theil sich erneuernden Schnecmantel angethan ist, von der 
Abendsonne erleuchtet, die aber bald ihren goldnen Schmuck zu; 
rückzog, und nur allein ihr jungfräuliches Antlitz röthete. Einen 
erhabnern und zugleich schönern Berg, als die Jungfrau ist, giebt 
es, glaube ich, auf der ganzen Erde nicht. Schön nenne ich die 
Jungfrau vorzüglich deswegen, weil man in allen ihren vom 
Thale aus sichtbaren Theilen nicht daS geringste Mißverhältniß 
bemerkt, und nirgends etwaS hervorsticht, was bloß Grauen und 
Entsetzen erregte, oder sonst unangenehme Empfindungen oder Bil; 
der erweckte. Man sieht nirgends gräßliche Schründe oder kahle 
abgeschnittene Felswände, die Denkmäler und Erinnerungen vor; 
maliger großer Verwüstungen sind, und zugleich daran erinnern, 
daß das, was jetzt so fest steht, dereinst auch wanken und fallen 
könne. Der ganze Berg, wie man ihn aus dem Standpunkte 
wahrnimmt, den ich nahm, scheint noch eben so unversehrt, und 
in eben das Gewand eingehüllt zu seyn, womit die Natur ihn 
bald nach seiner Entstehung bekleidete. Diese Vorstellung verliert 
man, wenn man über den Fuß der Jungfrau von Lauterbrunncn 
nach dem Grindelwalde geht, wie ich anfangs zu thun die Absicht 
hatte; denn alsdann sieht man die fürchterlichen Schründe und 
Felswände; auch hört man Las Krachen der Lauwinen, die nie; 
mals fallen, ohne die Felsmasse, die sie trug, zu verwunden, 
und große Bruchstücke in die sich öffnenden Abgründe hinunter zu 
reißen. Es bleibt aber doch immer wahr, daß die Jungfrau in 
der Nähe sowohl, als in der Ferne weniger zerrissen scheint, und 
viel ununterbrochener und tiefer mit Schnee bedeckt ist, als die 
übrigen Schueeberge im bernifchen Oberlandc." 
„Wegen der sanften Abendluft aßen wir nicht im Hause 
selbst, sondern auf der Gallerie vor dem Hause, wo man das 
Plätschern des Staubbachs, und das Rauschen der Lütschine be, 
ständig hören kann. Nach Tische gingen wir wieder auf den 
Staubbach zu, um ihn in der Nähe beim Mondschein zu betrach; 
ten. Als wir uns demselben näherten, stieg die Göttin der Nacht 
eben über die Jungfrau herauf, die in dem bescheidneren und 
weißlichen Schimmer des Mondes nicht weniger majestätisch, als 
in dem lebhafteren Glanze der Abendsonne war. Dem bloßen 
Anscheine nach, war es von der Spitze der Jungfrau bis zum 
Monde, der auf ihrem Haupte zu ruhen schien, nicht so weit, 
als aus dem Thale auf den Gipfel des Jungfraubergs. Als Lee 
Mond so hoch herauf kam, daß er den Staubbach erleuchten 
konnte, so wurden wir auf einmal durch das prächtigste und
	        
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