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schon zu Bette gegangen und schliefen den sorgenlosen und glücklichen
Schlaf der Kindheit. Da klopfte es an die Thür, und der Schulmeister
des Dorfes, ein ehrwürdiger Greis, trat herein. Vater Klopsch war ein
guter Freund des verstorbenen Haslocher gewesen und hatte dereinst
5 unsern Jörgle aus der Taufe gehoben. Seit dem Tode des Mannes
hatte er der Witwe und ihren Kindern mit Rat und That wacker und
treulich zur Seite gestanden. So kam er auch an diesem Abend, um
die bekümmerte Frau zu trösten und ihr einen Vorschlag zu machen, von
dem er sich alles Gute versprach. Jörgle und seine Mutter begrüßten
10 den willkommenen Gast mit aufrichtiger Freude, und die Witwe schüttete,
wie sie dies schon manchmal gethan, bald ihr ganzes Herz mit allen
seinen Sorgen und Bekümmernissen vor dem erfahrenen und erprobten
Freunde aus.
Der alte Schulmeister hatte die bangen Fragen und Klagen der
15 armen Frau still und ernst angehört. Endlich sprach er: „Das ist alles
nur zu wahr, Frau Gevatterin, und ich habe mir die Sache schon lange
durch den Kopf gehen lassen. Ich weiß keinen anderen Rat, als daß
Ihr zu unserm gnädigsten Herrn Großherzoge gehet und ihm Eure Not
recht ausführlich und ausdrücklich schildert. Er allein kann Euch helfen,
20 und ich denke, er wird auch helfen. Denn er ist ein gütiger und
menschenfreundlicher Herr (Gott segne ihn!), der auch für den ärmsten
und geringsten seiner Unterthanen zu jeder Zeit ein offenes Ohr, ein
warmes Herz und eine milde Hand bereit hat. Das ist es, was ich
Euch raten wollte, und darum bin ich heute Abend hergekommen.
25 Die Witwe erschrak über die Maßen, als sie diese Rede hörte, und
rief: „Aber, Gevatter, was fällt Euch ein? Ich arme und geringe Frau
soll zu unserm gnädigen Herrn Großherzog auf das Schloß gehen und
mit ihm reden? Ich sage Euch, nicht vier Pferde sollen mich dorthin
ziehen. Und wenn ich es wirklich thun wollte, so würde das blutwenig
30 helfen; denn ich weiß, ich würde vor Furcht und Scham die Augen nicht
aufschlagen und den Mund erst recht nicht aufmachen können. Nein,
nein, damit ists nichts! Wenn Ihr keinen andern Rat wisset, so ist mir
und meinem Jörgle leider Gottes nicht zu helfen."
Vater Klopsch schüttelte das greise Haupt, rückte unruhig an dem
35 Käppchen, welches seine spärlichen Silberhaare bedeckte, und sagte dann:
„Ach, die Sache ist lange nicht so gefährlich, als Ihr sie Euch vorstellet.
Großherzog Karl Friedrich, den uns Gott noch recht lange erhalten wolle,
ist ein überaus freundlicher und leutseliger Herr. Das sagen alle, die
ihn je einmal gesehen und gesprochen haben. Ihr habt ja sonst ein
40 mutiges Herz und ein gutes Mundwerk. Wenn Ihr nur erst vor dem
alten Herrn stehet, so werdet Ihr es schon fertig bekommen mit ihm zu
reden. Und es ist ja auch durchaus nicht nötig, daß Ihr viele Worte
machet. Ich will Euch ein Schreiben aufsetzen, worin Ihr dem Groß-